Tag 84: Ad absurdum

https://blog.wdr.de/loveparade-prozess/tag-84-ad-absurdum/

Tag 84: Ad absurdum

Kommentare zum Artikel: 0

Die Zeugenvernehmung des Polizei-Hundertschaftsführers, der mit seinen Beamten direkt am Ort der Katastrophe im Einsatz war, geht weiter.

Staatsanwaltschaft, Nebenkläger und Verteidiger wollen Details zum Ablauf des Unglückstags wissen. Alles dreht sich wieder um die Frage, wie die Dynamik des Gedränges an Tunnel und Rampe zum Partygelände entstand. Der Zeuge spricht von “Personengruppen mit großer Bewegungsenergie”. Man sei “überrannt” worden. Er muss wieder viele Fragen zu den Polizeiketten und zum Schichtwechsel bei der Polizei mitten in der entscheidenden Phase beantworten.

Vertrauen in Veranstalter

Der 49-jährige Zeuge räumt ein, dass keiner seiner Polizisten – entgegen vorheriger Planungen – an den Vereinzelungsanlagen vor dem Zugangstunnel präsent war. Dies habe daran gelegen, dass er alle Einsatzkräfte an der Rampe benötigt habe.

Man sei an jenem Nachmittag nie “vor die Lage gekommen”, sagt der Zeuge, der seit 1988 bei der Polizei ist. Alle Einsatzplanungen seien durch die Umstände vor Ort “ad absurdum” geführt worden.

Funkprobleme, Handy-Blackout, hierarchische Abläufe – der Zeuge skizziert ein Bild der polizeilichen Ohnmacht. Er habe “darauf vertraut”, dass der Veranstalter die Anlagen schließt, wenn die Rampe voll ist – um Druck wegzunehmen. Aber obwohl tausende Polizisten im Einsatz waren, hakte offenbar keiner mal nach.

“Fassungslos”

Filmaufnahmen vom Unglückstag sind auf den drei großen Leinwänden im Gerichtssaal zu sehen. In einem Video räumen Polizisten in der kritischen Phase gegen 16.30 Uhr noch Absperrungen zur Seite, so dass die Menge unbehindert Richtung Rampe strömen kann. “Fassungslos” reagiert der Zeuge auf die Bilder.

Der Polizist sagt, die vom Veranstalter vorab genannte Zahl von 150 Ordnern an der Rampe sei seinen Erinnerungen zufolge “nicht erreicht” worden. “Sehr wenige Ordner” – sogenannte “Pusher”, die die Besucher animieren sollten, schnell über Tunnel und Rampe zur Veranstaltungsfläche durchzugehen – seien im Einsatz gewesen, sagt der Zeuge.

Am Ende verliert die Polizei völlig die Kontrolle. Die tödliche Massenpanik folgt. Er selbst sei an seinem Einsatz-Container am Fuße der Rampe “körperlich bedrängt” worden, so der Zeuge.

Über den Autor

Jahrgang 1974. Geboren im westlichen Münsterland. Ich berichte seit 2002 über Politik und News aus Nordrhein-Westfalen. Bis 2007 für die taz, danach knapp fünf Jahre als Korrespondent der Nachrichtenagentur ddp/dapd. Seit 2012 arbeite ich für den WDR.

Top