Tag sieben: Überlebende berichten

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Tag sieben: Überlebende berichten

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Am siebten Prozesstag beginnt die Beweisaufnahme. Zwei Überlebende der Loveparade 2010 treten in den Zeugenstand.

Mit stockender Stimme, den Tränen nahe, sagt die erste Zeugin aus. Sie reibt sich nervös die Hände. Es ist jetzt ganz still im Saal. “Ganz ruhig”, sagt der Vorsitzende Richter Mario Plein zur Zeugin. Die 31-jährige Auszubildende aus Duisburg ist die erste von zahlreichen Nebenklägern, die in den nächsten Wochen im Prozess ihre Aussage machen werden.

Im “Labyrinth”

Sie berichtet, wie sie mit ihrer Schwester die Loveparade besuchte. Eindrücklich schildert die Frau mit leiser Stimme das Veranstaltungs-Gelände als “Labyrinth” aus Gittern, Absperrungen, Security-Leuten und Polizei-Ketten. Es sei immer voller geworden. Als die Schwester sich durch eine Glasscherbe an der Hand verletzte, wollten beide das Gelände verlassen, um Sanitäter zu finden. Doch eine Polizistin habe ihnen gesagt, dass sie nicht mehr rauskämen.

Wach geworden im Krankenhaus

Eine Polizei-Kette sei dann auseinandergerissen. Die Zeugin beschreibt “lauter Menschen, die ihre Arme hochhielten”. Sie beschreibt Druck, Wärme, Enge im Gedränge – als eher kleine Person habe sie irgendwann nur noch Rucksäcke und Oberkörper in der Menschen-Menge gesehen. “Wie ein Schunkeln, ein Wellengang” sei das gewesen, dann “wie Sardinen in der Büchse”. Von ihrer Schwester wurde sie getrennt. Sie versuchte, eine Treppe an der Zugangsrampe hochzusteigen. Doch an der ersten Stufe sei sie gestürzt. “Wie Domino-Steine” seien Menschen auf sie gefallen. Neben ihr habe ein junges Mädchen gelegen und um Hilfe gerufen. Dann setzt die Erinnerung der Zeugin aus.

Auf der Intensivstation eines Duisburger Krankenhauses sei sie wach geworden. Ein Jahr später erst “habe ich realisiert warum – und, dass ich noch am Leben bin”, sagt sie. Bis heute leidet die Frau vor allem an den seelischen Folgen des Unglücks.

Zweiter Zeuge: 20 Minuten “Chaoszeit”

Der zweite Zeuge bestätigt die Aussagen der Duisburgerin zum Gefühl, in der panischen Menge zu sein. Das Streben zur Treppe mit tausenden Menschen sei der “Ausweg zum Überleben”, aber eben auch ein “Teufelskreis” gewesen, sagt der heute 34 Jahre alte Lehrer aus Baden-Württemberg. Etwa “15 bis 20 Minuten” habe diese “chaotische Zeit” vor der Treppe gedauert. Er sei nur leicht verletzt worden, wohl weil er relativ groß sei. Zum Abschluss des Prozesstages werden auf den Großbildschirmen im Saal mehrere Videos gezeigt, die der junge Mann damals im Gedränge machte – und dann auf YouTube hochlud. Jetzt sind sie Beweismaterial.

Über den Autor

Jahrgang 1974. Geboren im westlichen Münsterland. Ich berichte seit 2002 über Politik und News aus Nordrhein-Westfalen. Bis 2007 für die taz, danach knapp fünf Jahre als Korrespondent der Nachrichtenagentur ddp/dapd. Seit 2012 arbeite ich für den WDR.

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