Handzeichen – Anmerkungen zur Politik in Zeiten der verordneten Distanz

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Handzeichen – Anmerkungen zur Politik in Zeiten der verordneten Distanz

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Mal ist er fest und entschlossen, mal unentschieden. Er kann sich kalt anfühlen, manchmal auch warm. Er ist mal hart wie ein Schraubstock oder weich wie Pudding. Der Handschlag sagt uns viel über unsere Mitmenschen. Er ist Akt der Begrüßung und der Verabschiedung. Mal ist er Anfang einer Geschichte, vielleicht auch ihr Ende. Wir alle schütteln Hände, täglich, zigfach. Und wir alle tun es derzeit nicht.

Für uns mag sich der Verzicht auf die ausgestreckte Hand zunächst wie ein Verstoß gegen unsere guten Manieren anfühlen. Darüber, das sagt uns unsere Vernunft, kommen wir hinweg. Der Verzicht dient einem höheren Zweck, er hat geradezu moralischen Gehalt. Anders in der Politik. Im politischen Leben werden die fehlenden Handschläge eine Leerstelle hinterlassen. Denn hier ist der Handschlag ein Akt höchster Symbolkraft. Händeschütteln in der Politik ist eine eigene Kunstform und wer diese Geste beherrscht, kann es weit bringen.

Handschlag vereinbart und besiegelt

Begleitet von Blitzlicht-Gewitter und dem rauschhaften Klicken der Kameraverschlüsse ist der Handschlag zwischen Politikern der Schwellenakt, der Beginn der Politik, wie es Joe Klein in seinem Roman „Primary Colors“ so treffend beschreibt. Der Handschlag vereinbart und besiegelt, er beendet Konflikte. Er schafft Vertrauen oder gibt Anlass zu Spekulation. Wo Politiker kräftig Hände schütteln, ist die Welt allem Anschein nach (noch oder wieder) in Ordnung.

Es gibt die ikonographischen Handschläge, die wir aus Büchern, Zeitungen und Archivaufnahmen kennen. Hindenburg und Hitler, in schwarzweiß, der Handschlag als Sündenfall der Geschichte. Adenauer und de Gaulle, eine Handreichung des Neubeginns. Oder Rabin und Arafat im Rosengarten des Weißen Hauses, ein Handschlag der Hoffnung. Macron und Trump, der reinste Ringkampf im Taschenformat. Hochpolitisch wird der Handschlag, der keiner ist: Merkel und Trump im Oval Office. Oder jüngst, Ramelow und Höcke im Erfurter Landtag. Mit der Hand lässt sich Politik machen, für den Moment ebenso wie für die Ewigkeit.

Mit Händen kann man auch applaudieren

Jetzt muss die Politik vorübergehend ohne einen ihrer wichtigsten Symbolakte auskommen. Sie muss kontaktlos Kontakte knüpfen in schwierigen Zeiten. In Zeiten, in denen Entschlossenheit, Zuversicht, Zusammenhalt anders zum Ausdruck kommen müssen. Das heißt umdenken.

Das Parlament in Düsseldorf hat am Dienstag in seiner historischen Sondersitzung den denkbar einfachsten Weg gefunden. Denn Hände kann man nicht nur schütteln, man kann mit ihnen auch applaudieren, und zwar laut und deutlich, rhythmisch und langanhaltend. So wie das viele Menschen jetzt allabendlich tun, um die Arbeit der vielen emsigen und unermüdlichen Helferinnen und Helfer zu würdigen.

Und abstimmen kann man mit ihnen übrigens auch. Einstimmig sogar. In Rekordzeit hat die Volksvertretung binnen eines Tages 25 Milliarden Euro Soforthilfen bewilligt. Dazu bedarf es eines guten Willens, in unübersichtlichen Zeiten auch einer gewissen Bereitschaft zum Risiko.

Kein Handschlag also, nirgends. Daran werden wir uns sicher später erinnern. Genauso wie an den allgegenwärtigen Geruch von Desinfektionsmittel.

Über den Autor

Jochen Trum ist Leiter der landespolitischen Redaktion des WDR.

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