Frei nach Jürgen Habermas ließe sich sagen, in einer guten Diskussionskultur gelte so etwas wie der zwanglose Zwang des besseren Arguments. Das ist eine etwas paradoxe, aber doch schöne Vorstellung. Leider trifft sie in der Praxis selten zu. Gleichwohl beschreibt sie ein Phänomen, das Diskussionen zur Debattenkultur bis heute prägt: Man misst die gute Streitkultur an einem Ideal, das in der politischen Realität nur selten zu finden ist. Platon hätte seine helle Freude.
Die 15. Auflage aus der Reihe der “Parlamentsgespräche” im Düsseldorfer Landtag am Dienstagabend, mit dem Titel “Debattenkultur: Wie viel Streit verträgt unsere Demokratie?“, versprach angesichts der Besetzung interessante Einsichten. Das Thema, soviel ist klar, ist virulent. Das liberale Urgestein Gerhart Baum, die FAZ-Journalistin Helene Bubrowski, die Bonner Professoren Christiane Woopen und Frank Decker sowie die Innsbrucker Philosophin Marie-Luisa Frick waren auf Einladung von Landtagspräsident André Kuper (CDU) angereist. Es stand zu vermuten, dass sie Ideen haben, wie sich die Frage des Abends beantworten lässt. 150 Gäste hörten zu.
Schnell war der/die Schuldige gefunden
Mit verblüffender Schnelligkeit war allerdings schon nach den ersten Minuten der Kern des Übels ausgemacht: die AfD. Die Runde geriet, vor allem unter den raumgreifenden Einlassungen von Gerhart Baum, zu einem Tribunal über die Rechtspopulisten und ihre parlamentarische Zügellosigkeit. Wer die Streitkultur im Land ramponiert? Ist doch klar! Und damit saß die Diskussion in der Falle, in der so viele Runden zu diesem oder einem ähnlichen Thema landen. Es debattieren mehr oder weniger Gleichgesinnte miteinander, streiten wenig, bestärken sich aber in ihren Ansichten. Da hilft auch nicht, wenn der Blick ins Ausland zeigt, dass es woanders ebenfalls nicht gut um die Streitkultur steht. Hermetischer Abschluss des Diskurses nach außen, Zugbrücke hoch. Diejenigen, um die es geht, bleiben vor der Tür. Ende der Debatte. Und das schon zu Beginn.
Abgesehen davon, dass es einem “Parlamentsgespräch” nicht gut zu Gesicht steht, wenn alle auf eine Partei zeigen, die nicht mit am Tisch, wohl aber im Parlament sitzt, kommt man so auch der Antwort auf die aufgeworfene Frage nicht näher. Die AfD darf man für eine unsympathische, vulgäre und in Teilen völkische und extremistische Partei halten. Aber ist sie allein für den Zustand der Öffentlichkeit und unserer Debatten verantwortlich? Ist es wirklich so einfach?
Raufbolde gibt es in allen Parteien
Verwechslung von Ursache und Wirkung. Weit verbreitet ist der Unwille, anderen zuzuhören, die eigne Meinung gilt absolut. Nicht in der Sache zu argumentieren, sondern das Gegenüber im Streit lieber zu diskreditieren, sich nicht mit Argumenten auseinanderzusetzen, sondern Glaubenssätze dogmatisch zu verteidigen, das ist kein Alleinstellungsmerkmal der AfD. Das ist ein Signum unserer Zeit. Und Raufbolde gibt es in allen Parteien.
Die digitalen Verstärker, etwas missverständlich “soziale Medien” genannt, tun ihr Übriges: verbale Brandbeschleuniger, in denen es um alles Mögliche geht, aber sicher nicht darum, den Anderen mit dem besseren Argument zu überzeugen. Ein genauerer Blick hätte gelohnt: Hier holzen alle rum, von links bis rechts. Neben hässlichem Extremismus jedweder Couleur findet sich im öffentlich Diskurs auch jakobinischer Furor, natürlich im Geiste edelster Gesinnung (was es nicht besser macht), ein ausgeprägter Hang zur Selbstgerechtigkeit und Selbstdarstellung, eine grassierende Dünnhäutigkeit.
“Wir sind schlau, ihr seid doof”
Wer sich nur an der AfD festbeißt, verengt das Thema und bringt sich um Erkenntnisgewinne.
Ein Parlamentsgespräch hätte auch eine genauere Analyse der politischen Debatten im Hohen Haus verdient. Plenarsitzungen sind ein Ort der Debatte – in der Theorie. In der Praxis geht es nicht um Dialog. Plenardebatten sind meist eine Folge abgeschlossener Monologe. Die unbedingte Verteidigung der eignen Linie: “Wir sind schlau, ihr seid doof”, “Wir haben Argumente, ihr nur schlechte Laune.” Das ließe sich fortsetzten, die Grundfiguren der parlamentarischen Redekunst sind überschaubar.
Geht ein Plenarredner ernsthaft mit der Absicht in den Saal, sich die Argumente der anderen anzuhören? Gar seine Meinung zu revidieren? Tritt ein Redner ans Pult mit der Absicht, die Gegenseite zu überzeugen? Wer das glaubt, glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten.
Ansätze waren da
Das Parlamentsgespräch lässt sich gar dazu hinreißen zu erklären, eine “cancel culture” existiere nicht, sei quasi eine Erfindung ihrer Gegner. Auf den Begriff mag das zutreffen, auf die Sache nicht. Jetzt ist der Kurzschluss vollendet: Eine böse Macht von außen will uns unsere schöne Debattenkultur kaputtmachen. Das ist wie der Autofahrer, der nur die Blechlawine vor und hinter ihm für den Stau verantwortlich macht, in dem er seit Stunden steht.
Erst im späteren Verlauf gab es dann doch Lichtblicke: Als Helene Bubrowski darauf hinwies, dass die meisten Parlamentsdebatten in Wahrheit einfach nur sterbenslangweilig seien. Als Frank Decker beschrieb, dass das in einer Studie gemessene Zukunftsvertrauen der Deutschen jüngst rapide gesunken sei. Als Marie-Luisa Frick etwas mehr Konfliktfähigkeit anmahnte. Ansätze waren also da, die Frage des Abends aber blieb unbeantwortet.
2 Kommentare
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Zustimmung,
nicht die Alternative für Deutschland ist das Problem sondern Politik die eine Alternative notwendig macht. Zeichen gegen Rechts sind nicht nur wirkungslos, sie gehen regelmäßig nach hinten los da dabei die eigentlichen Probleme auf der Strecke bleiben und Fehlentwicklungen ewig weitergehen.
Bestes Beispiel ist Merkel und Willkommenskultur, erst da wurde die AfD zur Partei rechts von der CDU, ist dabei groß geworden während die Abwärtsspirale der CDU begann. Migration ist immer ein großes Problem, statt sich inhaltlich mit Sinn und Unsinn zu beschäftigen hat die Willkommenskultur Probleme immer weiter laufen lassen, bis heute. Dabei ist das Asylrecht nicht für politische Verfolgung weit weg gedacht und gilt bei Krieg gar nicht; siehe Grundgesetz Art.16a(2), Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Art.31 bis 33, Definition Art.1 des Abkommens. Im Prinzip hätten 2015 alle Syrer in die Türkei zurück geschickt werden müssen. Auch wenn das bei Impuls zur AfD anders steht (Lars Fuchs), Pushbacks sind legal; der Europäische Gerichtshof hat 2020 sein Urteil von 2017 revidiert.
Eine Alternative kann auch links sein, wie die Wahlalternative für Arbeit und Soziale Gerechtigkeit. Aber „Debattenkultur mit Torte“ ist mitverantwortlich, dass die Linke in Bedeutungslosigkeit verschwindet; Neugründung vom Wagenknechtflügel kommt zu spät für die nächsten Wahlen.
Corona ist vorbei, vergessen ist nicht die angestrebte Impfpflicht mit hoher Strafandrohung von CDU (Wüst) und SPD (Kutschaty). Wie Omikron-Entdeckerin Dr. Angelique Coetzee in Südafrika war „Ich war fassungslos über die Resonanz“ in Europa (Fokus). Debatte was Sinn macht gab es im Mainstream nicht und man opferte lieber viele Einzelhändler.
Ich wähle Inhalte, keine rechte, linke oder grüne Ideologie. Der Wahl-O-Mat objektiviert gut und die AfD gewinnt immer; Übereinstimmung jetzt bei 85%. Offene Debatten um Inhalte und Unterscheidung nach Sinn und Unsinn statt nach rechts oder links wären besser.
Besser kann man es nicht ausdrücken. Diejenigen, welche die Debattenkultur einengen, geben die Schuld den Anderen und beschweren sich dann über fehlende Debattenkultur.
Dieser Weg kann nur in eine Sackgasse führen und das sieht man aktuell in Thüringen. Die CDU/FDP bringt mit den Stimmen der AfD ein Gesetz durch. Es folgt ein medialer Aufschrei. Niemand fragt nach der Sache, niemand fragt danach, ob 2RG in Thüringen früher die Stimmen der AfD für ihre Zwecke genutzt haben. Keine Debatte, nur noch Empörung allenthalben….