Die letzten Schröder-Versteher in der SPD

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Die letzten Schröder-Versteher in der SPD

Kommentare zum Artikel: 1

Es ist eine Woche, in der Gerhard Schröder mal wieder in den Schlagzeilen auftaucht. Rund um den 80. Geburtstag des Altkanzlers lief eine neue ARD-Doku, in der Schröder gegen die SPD-Spitze austeilte. Medien berichteten darüber, welcher SPD-Promi dem Jubilar ob und wie gratuliert. Die meisten taten es distanziert schriftlich. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist der Putin-Freund zur Unperson in der SPD geworden. Schröders Frau und Power-Instagrammerin So-yeon Schröder-Kim aber freut sich und teilt, ihr Gatte sei meistgeklickt.

Und doch gibt es sie noch: die “Schröder-Versteher” in der SPD. Einige aktive und frühere SPD-Politiker (auch in NRW) stehen weiter zu ihm. Das hat auch was mit der aktuellen Lage und dem Umfragetief der Partei zu tun. Schröder steht wegen seiner Lobbytätigkeit für russische Energiekonzerne und wegen seiner Freundschaft zu Machthaber Wladimir Putin in der Kritik. Schröder war von 1998 bis 2005 Bundeskanzler und von 1999 bis 2004 SPD-Chef.

Mittagessen mit (Ex-)Abgeordneten aus NRW

Rückblende. Ende Oktober 2023. In Hannover wird Schröder von seiner Partei für 60 Jahre Mitgliedschaft geehrt – nach langem Hin und Her. Erst Monate zuvor war der Versuch gescheitert, ihn aus der SPD zu werfen. Zu Ehren des Genossen Gerd sind rund 40 Parteifreunde (überwiegend Männer) in ein Restaurant geladen. Schröder ist gut drauf, fast aufgekratzt, wie man in der ARD-Doku bestaunen kann. Ex-Bundesinnenminister Otto Schily ist unter den Gästen, aber auch der frühere Parteichef Sigmar Gabriel. Aus NRW ist ein aktiver Bundestagsabgeordneter dabei: Axel Schäfer aus Bochum, der den Genossen Schröder seit 1978 kennt.

Von einem gemütlichen Mittagessen in Hannover berichtet Schäfer. In einem Facebook-Post hat der Abgeordnete dem “lieben Gerd” vor ein paar Tagen gratuliert. Schäfer wirkt unglücklich über den Umgang seiner Partei mit Schröder. “In der SPD ist es derzeit eher so, dass man das Thema Schröder totschweigt”, sagte er dem WDR. “Dabei würde es der historische Respekt eigentlich gebieten, dass man einen bedeutenden Bundeskanzler zum Achtzigsten gratuliert. Ich hoffe, dass Gerhard Schröder bald wieder in der Galerie bedeutender SPD-Politiker auftaucht. Aber man muss auch sagen, Schröder ist ein dickköpfiger Mensch. Zu seiner Freundschaft zu Putin habe ich den Alt-68er Gerhard Schröder daran erinnert, dass das Private politisch ist.”

Ex-MdB kritisiert Parteichef Klingbeil

Auch der Ex-Bundestagsabgeordnete aus Düsseldorf, Michael Müller, saß in Hannover beim Jubiläumslunch mit am Tisch. Er habe mit Gerhard Schröder heftige inhaltliche Konflikte vor allem über ökologische Fragen gehabt, sagte Müller. “Das hat sich auch daraus ergeben, dass ich damals Sprecher der Parlamentarischen Linken war. Und ich kritisiere auch manches an seiner Russland-Connection, auch wenn ich es im Grundsatz für richtig halte, mit Russland, dem größten Land der Erde, den Austausch zu halten.” Man müsse doch einen Menschen achten, der einiges geleistet habe, so Müller über Schröder.

Müller kritisiert den Umgang der Spitze mit dem Altkanzler. Er könne nicht nachvollziehen, dass SPD-Co-Parteichef Lars Klingbeil “noch bei der Bundestagswahl stolz darauf gewesen ist, eine Veranstaltung mit Gerhard Schröder zu machen, aber jetzt stellt er sich hin, als sei Schröder eine Persona non grata”, so Müller.

Via Podcast lobte der frühere NRW-Landesminister, Johannes-Rau-Zögling und Ex-Kanzleramtsminister Bodo Hombach seinen ehemaligen Chef zum 80. in höchsten Tönen – nicht ohne dabei die aktuelle SPD zu kritisieren.

Bei Axel Schäfer, der bereits zu Schröders Kanzlerzeiten dem Bundestag angehörte, mischt sich in die Würdigungsworte Kritik am jetzigen sozialdemokratischen Kanzler: “Was die heutige SPD von Schröder lernen kann? Das Allerwichtigste ist die außergewöhnliche Form von Kommunikation, von Offenheit und Chuzpe.” Olaf Scholz sei ja damals Generalsekretär von Schröder gewesen. Der Kanzler solle “kommunikativ offensiver werden”.

Keine offizielle Gratulation der NRW-SPD

Gerhard Schröder spiele im operativen Geschäft und bei inhaltlichen Debatten des nordrhein-westfälischen SPD-Landesverbandes längst keine Rolle mehr, sagte die Co-Vorsitzende der NRW-SPD, Sarah Philipp, auf WDR-Anfrage. “Unsere Konzentration gilt derzeit voll und ganz den anstehenden Europawahlen.” Die Landesvorsitzenden der NRW-SPD “haben Gerhard Schröder nicht zum Geburtstag gratuliert”.

Anders hielt es der SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Jochen Ott. Als er Anfang der 2000er junger Parteivorsitzender in Köln wurde, “hat mich Gerhard Schröder immer unterstützt”. Ott weiter: “Ihn für seine Haltungen zum Umgang mit Putin zu kritisieren und dem Bundeskanzler a.D. persönlich zum 80. Geburtstag zu gratulieren, schließt sich für mich daher nicht aus. Ich persönlich habe beides getan.”

Die Schröder-Feierwochen sind noch nicht vorbei. Ende April soll Schröders Ehefrau für ihren Mann in Berlin eine Feier mit Freunden planen. Die Parteiprominenz wird wohl definitiv nicht dabei sein. Aber vielleicht ein paar Freunde aus der zweiten oder dritten Reihe der SPD. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Stefan Zierke, neben Schäfer einer der wenigen sozialdemokratischen Parlamentarier, der nicht mit Schröder gebrochen hat – scheint nicht abgeneigt – unter Bedingungen: “Zur Geburtstagsfeier von Gerhard Schröder würde ich gehen, wenn ich eingeladen wäre und Zeit hätte – aber nicht, wenn jemand von der Russischen Botschaft da ist.”

Über den Autor

Jahrgang 1974. Geboren im westlichen Münsterland. Ich berichte seit 2002 über Politik und News aus Nordrhein-Westfalen. Bis 2007 für die taz, danach knapp fünf Jahre als Korrespondent der Nachrichtenagentur ddp/dapd. Seit 2012 arbeite ich für den WDR.

Ein Kommentar

  1. Ex SPD-Wähler am

    Ich bin Schröder-Versteher,
    und gleichzeitig ist Schröder ist Grund, warum ich etablierte Parteien nicht mehr wähle.

    Zwei Entscheidungen von Rot-Grün mit Schröder waren gut:
    1. Raushalten aus dem Irak-Krieg, der komplett auf Lügen des Aufschneiders beim BND „Curveball“ gebaut war. Das war ein echter „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“ von der „Koalition der Willigen“.
    2. Das Gasgeschäft, Annäherung an Russland und die bezahlbare Energie federte die Agenda etwas ab.

    Wegen Agenda und Niedriglohnsektor bin ich heute Ex-SPD-Wähler. Aber auch diese Entscheidung von Schröder verstehe ich. Mit Globalisierung und EU-Osterweiterung fällt Schutz vor Lohndumping unter Handelshemmnis. Sind so viele Länder mit viel geringeren Arbeitskosten im gemeinsamen Markt, können auch wir unser Lohnniveau nicht mehr halten. Die Alternative zum Niedriglohnsektor war Blockieren der EU-Osterweiterung oder der DExit, beides nicht nur für Schröder undenkbar, war aber einziger Ausweg.

    Stefan Dietzfelbinger von Thyssen-Krupp: “Unsere Unternehmen verlieren im Wettbewerb an Kraft.” Der neue Mindestlohn reicht nicht zum Leben, ist trotzdem im EU-Wettbewerb zu hoch; dazu hohe Energiekosten der Ampel. Das ist innerhalb der EU nicht auflösbar, nicht wegsubventionierbar. Auch daher wähle ich AfD bei der EU-Wahl.

    Ich bin Schröder-Versteher und Putin-Versteher, verstehen bedeutet aber nicht billigen. Wer nur der Erzählung vom Angriffskrieg folgt und die Entwicklung aus dem Gedächtnis tilgt ist nicht mehr in der Lage irgendwas wirklich zu verstehen. Ohne Vergangenheit kann man Zukunft nicht gestalten und Krieg endet nie.

    Mit Schröders Politik habe ich auch Probleme, nur sehe ich Licht und Schatten immer andersrum. Damit muss man aber professionell umgehen und vom Privaten trennen. Bin sicher nicht eingeladen aber zum Geburtstag würde ich auch gehen, auch wenn jemand von der Russischen Botschaft da wäre denn Gelegenheiten zum Reden sollte man nicht verpassen.

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