Tag sechs: Abrechnung mit dem Gutachter

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Tag sechs: Abrechnung mit dem Gutachter

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Auch am sechsten Prozesstag hat meist die Verteidigung das Wort. Zu Beginn der Sitzung gibt der Vorsitzende Richter Mario Plein bekannt, dass die Kammer eine weitere Besetzungsrüge der Anwälte der Angeklagten abgewiesen hat. Wir erinnern uns: die Verteidiger sehen im Loveparade-Prozess die falschen Richter am Werk. Eine andere Kammer des Landgerichts Duisburg sei zuständig, so ihre Kritik. Das Gericht sieht es bekanntlich anders.

Anwalts-Attacke auf Panikforscher

Die Verteidiger lesen gleich den nächsten Antrag vor: einen Befangenheitsantrag gegen den seit Jahren vieldiskutierten Gutachter Keith Still. Der britische Panikforscher habe “nicht sachgerecht” gearbeitet, so der Vorwurf im Schriftstück der Anwälte. Wichtige Aspekte wie die Rolle der Polizei-Absperrungen am Tag der Katastrophe habe er nicht beachtet. Still sei auch “nicht unabhängig”, da er unter anderem eine Helferin in Anspruch genommen habe, die ebenfalls für das NRW-Innenministerium tätig gewesen sei.

Der Crowd-Scientist Still, führt eine Verteidigerin aus, habe überdies “gegen die Verschwiegenheit verstoßen” – weil er in Vorträgen und Büchern wichtige Details seiner Expertise öffentlich gemacht habe. Auch “Mutmaßungen” und unwissenschaftliches Vorgehen werfen ihm die Verteidiger vor. Süffisant merken sie an, dass Still ja nicht regelmäßig am Prozess teilnehme – obwohl er Zeit habe, auf der ganzen Welt Vorträge zu halten.

Kritik nicht neu

Die kontroverse Debatte über den Sachverständigen Still ist nicht neu. Wegen der Kritik wurde auch ein neues Gutachten in Auftrag gegeben – bei dem Wuppertaler Experten für Veranstaltungssicherheit Jürgen Gerlach. Die Staatsanwaltschaft verteidigt in der Sitzung den Experten Still. Der Forscher sei “weltweit anerkannt”, der Befangenheitsantrag deshalb unbegründet – und nach Meinung der Ankläger “Stimmungsmache”.

Auch über einen weiteren Antrag der Verteidiger muss das Gericht zeitnah befinden. Die Forderung: Für alle Prozess-Beteiligten soll die Beweisaufnahme als Audio mitgeschnitten werden. Die Verteidigung hofft, so könnten Kontroversen über Aussagen und viele Prozess-Details vermieden werden. Die Staatsanwaltschaft fürchtet hingegen, Audio-Aufnahmen könnten im Internet auftauchen.

Zeugen-Befragung beginnt

Kurz nach der Mittagspause beendet Richter Plein den Verhandlungstag. Am morgigen Donnerstag sollen die ersten beiden Zeugen vernommen werden – beide aus den Reihen der Nebenkläger.

Über den Autor

Jahrgang 1974. Geboren im westlichen Münsterland. Ich berichte seit 2002 über Politik und News aus Nordrhein-Westfalen. Bis 2007 für die taz, danach knapp fünf Jahre als Korrespondent der Nachrichtenagentur ddp/dapd. Seit 2012 arbeite ich für den WDR.

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