Tag 104: “Dat klappt im Leben nicht”

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Tag 104: “Dat klappt im Leben nicht”

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Ausfälle bei Funk- und Handykommunikation, umstrittene Befehle, missratenes Dienstzeit- und Einsatzkonzept: Die Polizeifehler am Tag des Loveparade-Unglücks waren schon oft Thema im Strafprozess.

Heute sagt ein weiterer Polizist als Zeuge aus, der direkt am Ort der Katastrophe seinen Dienst verrichtete. Der heute 55-jährige Beamte aus Köln war am 24. Juli 2010 Zugführer einer rund 35-köpfigen Polizeitruppe am östlichen Zugangstunnel.

Als er mit seinen Beamten den Einsatz begann, fand der Zugführer sich nach eigenen Angaben schnell im Menschengedränge wieder. Um Druck von der Rampe Richtung Veranstaltungsgelände wegzunehmen, habe er den Befehl bekommen, Sperrketten mit seinen Leuten zu postieren.

“Nicht zu halten”

“Maximal um die 20” Polizisten hätten ihm zur Bildung der Kette zur Verfügung gestanden, sagt der Zeuge. Die anderen Kollegen seien anderweitig beschäftigt gewesen. “Irgendwann war die Kette nicht mehr zu halten”, beschreibt er die Ausweglosigkeit der Maßnahme. Auch eine Kette am Fuß der Rampe habe man nicht hinbekommen. “Die Zuschauerzahl war so dicht, dass wir gar nicht mehr durchkamen.” Ein früherer Dienstbeginn hätte vielleicht helfen können, die Massenpanik vor der Entstehung zu verhindern: “Aber das ist Theorie.”

Der Zeuge beschreibt “das Ausmaß der Katastrophe” an Tunnel und Rampe. Er habe am Ende vor dem Einsatz-Container der Polizei am Rampenfuß gestanden. Panische, kreischende Menschen hätten “in Todesangst” Richtung Umzäunungen und Container gedrückt.

Menschen stürzten, wurden totgetreten im Gedränge. Der Beamte schildert, wie die Polizei Rettungskräfte anforderte. Kurz darauf blieb ihm nur noch, die Zahl der am Boden liegenden Todesopfer zu zählen. “15-20 Tote”, heißt es im Einsatzprotokoll der Polizei um 17.31 Uhr. Am Ende waren es 21 Tote und mehr als 650 Verletzte.

“Gewagtes” Konzept

Der Vorsitzende Richter Mario Plein fragt den Zeugen, ob er bei Vorbesprechungen zum Einsatz Bedenken geäußert habe. Der 55-Jährige bejaht dies, spricht locker im rheinischen Tonfall über seine Zweifel.

Das Zugangskonzept mit dem “Kessel” aus Tunnel und Rampe habe er für “gewagt” gehalten, sagt der Zeuge. “Wir haben alle gesagt: Dat klappt im Leben nicht.” Er sei in der Polizei-Hierarchie allerdings unten angesiedelt gewesen. Von oben sei das Einsatzkonzept trotz Bedenken weiterverfolgt worden.

Über den Autor

Jahrgang 1974. Geboren im westlichen Münsterland. Ich berichte seit 2002 über Politik und News aus Nordrhein-Westfalen. Bis 2007 für die taz, danach knapp fünf Jahre als Korrespondent der Nachrichtenagentur ddp/dapd. Seit 2012 arbeite ich für den WDR.

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