Tag 17: eine Familiengeschichte

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Tag 17: eine Familiengeschichte

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Heute ging es beim Loveparade-Prozess mit der Zeugenbefragung weiter. Zwei junge Männer berichten als Nebenkläger darüber, was sie am Tag der Katastrophe erlebt haben. Das Besondere an der Situation im Gerichtssaal: Die beiden 34-Jährigen sind Zwillinge. Neben ihnen sitzt ihr Anwalt. Es ist ihr Vater.

Hoffentlich kommen wir hier lebend raus“

Die Brüder werden getrennt voneinander befragt. Er sei mit seinem Zwillingsbruder zusammen zur Loveparade unterwegs gewesen, beginnt einer der beiden in seiner Aussage. Auf dem Weg zum Gelände habe er nur wenige Ordner und Polizisten gesehen. Immer wieder versagt ihm die Stimme und er macht längere Pausen. Es nimmt ihn sichtlich mit, das Erlebte wiederzugeben. Vor allem seine Schilderungen aus dem Gedränge gehen nahe. „Neben mir ist jemand zusammengebrochen.“ Menschen hätten versucht, wie Affen an den Laternenmasten hochzuklettern. Irgendwann habe er zu seinem Zwillingsbruder gesagt:“ Hoffentlich kommen wir hier lebend raus.“ Dann verlieren sie sich im Chaos.

Die Ausführungen erscheinen allerdings manchmal verschwommen und widersprüchlich. Das wird besonders bei Nachfragen des Richters oder der Verteidigung deutlich. Manchmal erinnert sich der Zeuge nicht mehr richtig an vorherige Aussagen oder stellt sie plötzlich anders dar. Nach fast drei Stunden ist er aus dem Zeugenstand entlassen. Alle atmen tief durch.

„Die Stimmung wurde durch den Polizeiwagen noch aufgeheizter“

Jetzt kommt der andere Zwilling in den Zeugenstand. Er wirkt etwas gefasster und sortierter. Je näher er aber mit seinen Beschreibungen der Massenpanik kommt, desto schwieriger wird es auch für ihn. Er berichtet über den Polizei-Bulli, der sich am Tag der Katastrophe mit „brüllendem Martinshorn“ durch das Gedränge bis zur Rampe schob. „Er hat uns Lebensraum weggenommen.“ Es seien Meter gewesen, die sie im Gedränge selbst hätten gebrauchen können. Außerdem sei die Stimmung durch den Polizeiwagen noch aufgeheizter geworden. Seinen Bruder trifft er später in der Bahn wieder. Was wirklich alles an diesem Tag passierte, erfahren sie erst nachher aus den Nachrichten.

Verteidigung kritisiert Polizei

In ihrer Abschlusserklärung greift die Verteidigung die Aussagen über die Polizei gerne auf. Sie hätten einmal mehr gezeigt, dass die Polizei nicht genug Unterstützung geleistet habe. Im Gegenteil – „es gab gar keine wirkliche Polizeipräsenz an den Absperrungen“ führt ein Verteidiger aus. Die Taktik dahinter ist klar: Sie können so möglicherweise ihre eigenen Mandanten entlasten. Die Kritik an der Polizei zieht sich mittlerweile wie ein roter Faden durch den Prozess. Nur sitzt von ihr niemand auf der Anklagebank.

 

 

Über den Autor

1982 im Ruhrgebiet geboren. Nach dem Volontariat ging es für knapp drei Jahre nach Berlin. Dort unter anderem Nachrichtenredakteur beim rbb. Seit 2017 wieder zu Hause im Ruhrgebiet, beim WDR.

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