Tag 171: “Ist alles ein bisschen lang her, ne”

https://blog.wdr.de/loveparade-prozess/tag-171-ist-alles-ein-bisschen-lang-her-ne/

Tag 171: “Ist alles ein bisschen lang her, ne”

Kommentare zum Artikel: 0

Was geschah am Tag der Loveparade? Wer hat, was, wann, wo, wie gesagt und getan? Wieder einmal ist ein Zeuge geladen, der sich kaum oder gar nicht daran erinnern kann. Häufig antwortet er: “Weiß ich nicht mehr”, “Kann ich nicht mehr sagen” oder “Ist halt alles ein bisschen lang her, ne”. Dennoch gelingt es dem Gericht über dessen früheren Aussagen bei der Polizei und dem, was wir schon von anderen Zeugen gehört haben, einen Teil der Geschichte zu rekonstruieren.

Der Runner

Der heute 36-jährige Bauleiter aus Köln hat bei der Loveparade an der Seite des Crowd-Managers gearbeitet. Er war sein persönlicher “Runner”. Es war seine Aufgabe zwischen den zwei Eingängen zum Tunnel und dem Container, der am Aufgang zur Rampe stand und dem Crowd-Manager als Hauptquartier diente, hin- und herzulaufen. Dabei habe er bei den Ordnern nach dem Rechten gesehen und dafür gesorgt, dass Infos und Anweisungen auch da ankamen, wo sie hinsollten.

Die misslungene Sperrung der Zugänge

Als das Gedränge an der Rampe zu groß wurde und der Crowd-Manager den Funkspruch absetzte, dass beide Eingänge gesperrt werden müssten, habe der Zeuge am Eingang Ost gestanden. Die Ordner vor Ort seien dieser Anweisung auch gefolgt. Dann habe der Zeuge sich wieder auf den Weg zurück zum Container gemacht.

Aussagen im Kontext sehen

Doch Überwachungsvideos und weitere Zeugenaussagen zeigen, dass die Anweisung über die Sperrung nicht eingehalten worden ist. Immer wieder sind die Schleusen geöffnet worden. Immer mehr Menschen strömten in den Tunnel. Das ist auch deutlich in einem Video zu erkennen, was heute abgespielt wird. Warum die Anweisung missachtet wurde, erklärte ein anderer Zeuge, der ebenfalls Mitarbeiter der Security-Firma war am 5. Dezember 2018 vor Gericht. Der Druck von der Straße war wohl zu hoch.

Auch der Hundertschaftsführer der Polizei im Tunnel sagte aus, dass er davon ausgegangen war, dass die Eingänge gesperrt blieben. Darauf basierte, wie er am 22. November 2018 aussagte, der Plan mit dem Einsatz von Polizeiketten den Stau auf der Rampe aufzulösen. Die heutige Zeugenaussage lässt sich meiner Ansicht nach nur im Kontext zu den anderen Aussagen verstehen. Auch weil der 36-Jährige sich an vieles nicht erinnern kann.

Der Container

Er erinnert sich aber noch daran, dass er sehr lange brauchte um vom Osteingang durch die Menge zurück zum Container zu kommen. Eine Frau sei vor ihm zusammengebrochen, er habe sie mithilfe zweier Besucher hinter die Absperrung des Containers gebracht. Dann beschreibt der Zeuge in knappen Worten die grausamen Bilder, die wir alle kennen. Auf eine eher unemotionale Art erzählt der ehemalige Bundeswehrsoldat von den Verletzten und Toten. Davon, dass er bis Mitternacht vor Ort gewesen sei und geholfen habe. Er muss Schreckliches erlebt haben, denke ich. Auch wenn ich mir mehr von seiner Aussage erhofft habe, kann ich menschlich nachvollziehen, dass für ihn alles “ein bisschen lang her ist”.

Über den Autor

in Duisburg geboren. Nach einem Volontariat bei einem TV-Sender ging es weiter als freie Videojournalistin für verschiedene TV Sender und internationale Online-Plattformen. Seit 2016 im WDR Studio Duisburg zuhause.

Top