Tag 32: Im Nachhinein ein unheimliches Interview

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Tag 32: Im Nachhinein ein unheimliches Interview

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“Neben mir steht der Mann, der das alles hier verbrochen hat” – leitet WDR-Moderator Thomas Bug ein lockeres Interview mit Rainer Schaller am 24. Juli 2010 ein. Es ist 16:45 Uhr, und noch ist nicht bekannt, dass Menschen auf dem Gelände gestorben sind. Das Gericht zeigt die Fernsehaufzeichnung heute, an Tag Zwei der Befragung des Lopavent-Geschäftsführers, um die Geschehnisse am Tag des Unglücks nachzuvollziehen.
Ob er zu dem Zeitpunkt schon gewusst habe, dass es Probleme gab, will Richter Mario Plein wissen. “Ich muss gewusst haben, dass die Polizei keine Leute mehr rein lässt, sonst hätte ich das in dem Interview nicht so gesagt.” Es geht in dem Interview um Besucher vor verschlossenen Eingängen und zu viele Menschen auf dem Gelände.

Blindes Vertrauen?

Glaubt man Rainer Schaller, so vertraute er seinen Mitarbeitern und deren immer wiederkehrenden Versicherungen blind, man könne alle – auch die sicherheitsrelevanten – Probleme lösen. So gut wie gar nicht will sich Schaller um das gekümmert haben, was organisatorisch in seinem Namen als Geschäftsführer der Lopavent unternommen oder unterlassen wurde. Sein Mitarbeiter habe als Head of Operations quasi den Status als Geschäftsführer gehabt.
Quasi, aber nicht faktisch – und damit müsste Schaller nach meinem Rechtsempfinden eigentlich haftbar gemacht werden können für Versäumnisse seiner Firma Lopavent. Aber mein Rechtsempfinden ist nicht ausschlaggebend, und Schaller sitzt hier im Gerichtssaal als Zeuge, worüber er, wie er mehrfach sagt, froh ist.
Ich frage mich, wie ein derart naiv-gutgläubiger Mensch es schaffen soll, eine Firma wie McFit aufzuziehen und nach eigenen Angaben zu Europas Nummer 1 zu machen. Und auf dieser Marktposition zu halten. Aber wenn die Loveparade, wie Schaller gestern ausführte, im wesentlichen als Marketinginstrument für McFit gedacht war, hat er die Lopavent GmbH vielleicht einfach nicht als so wichtig auf dem Schirm gehabt.

Was stimmt?

Immer wieder geht es an diesem 32. Prozesstag darum, wie sehr Rainer Schaller in die Abläufe bei der Vorbereitung und Durchführung der Loveparade und danach in die Aufarbeitung des Unglücks involviert war. Und was er zu welchem Zeitpunkt am Unglückstag wusste.
Dabei widerspricht er sich zum Teil: Dem Richter sagt er auf die Frage, wann er zum ersten Mal von Toten gehört habe: “Solche Meldungen haben wir bei den Loveparades immer wieder bekommen, auch in Dortmund und Essen. Es hat sich immer herausgestellt, dass es keine Toten gab – in diesem Fall war es eine Tragödie”. Er habe aber damals im Geschehen keine gesicherten Erkenntnisse gewinnen können, ob es wirklich Tote gegeben habe. Er habe kein Funkgerät gehabt und sei quasi von den Informationen abgeschnitten gewesen. Später bei der Befragung durch den Staatsanwalt wird er sagen, er habe einen Mitarbeiter an seiner Seite gehabt, über den er immer erreichbar gewesen sei.

Zutreffend oder nicht?

Mit Bezug auf das gezeigte Interview möchte der Staatsanwalt wissen, wieviele Besucher am 24. Juli 2010 tatsächlich auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs waren. Denn diese Zahl ist immer wieder strittig, und im Interview ist von mehr als einer Million die Rede. Antwort Rainer Schaller: “Das war ein mediales Interview, in dem man Sachen sagt, die so nicht zutreffen”. Und ich frage mich: Gilt das auch für Schallers kurzes Statement gestern vor Beginn des Verhandlungstags?

Über den Autor

Geboren 1969 in Bremen, Mensch- und Journalistenwerdung in Rheinland und Ruhrgebiet und seit 2008 für den WDR als Reporterin in Düsseldorf, Duisburg und Umgebung unterwegs. Das Unglück bei der Loveparade habe ich von Anfang an immer wieder journalistisch begleitet, vom Folgetag an viel Zeit im Tunnel verbracht, Eindrücke gesammelt, Menschen befragt, berichtet. Auch über die politischen Folgen, wie die Abwahl des Oberbürgermeisters Sauerland und das juristische Hickhack im Vorfeld dieses Prozesses.

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