Tag 67: Von Polizeikette nichts gewusst

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Tag 67: Von Polizeikette nichts gewusst

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“Es gab keine offene Kritik, im Sinne von: Wir machen das nicht, aber insgesamt war die Grundstimmung nicht zufrieden. Ich würde sagen, wir hatten alle so den Ansatz wir müssen das machen, aber wir machen das nicht gern.” So beschreibt der damalige Einsatzleiter der Polizei die Stimmung unter den Beamten, die bei der Loveparade für die Sicherheit sorgen sollten.  Oder vielmehr rund um die Loveparade, denn auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs selbst hätten eigentlich die Ordner des Veranstalters den Hut aufhaben sollen.

“Ich war, wenn ich das heute so sagen darf, nicht glücklich über diesen Ort.”

Von Anfang an habe er gegen die Veranstaltung und insbesondere gegen das Veranstaltungsgelände Bedenken gehabt, sagt der heute 68-jährige. Mehr als fünf Jahre ist der Mann mittlerweile schon nicht mehr im aktiven Polizeidienst. Drei Jahre nach dem Unglück ging er in Pension, damals wurde noch gegen ihn ermittelt. Deswegen kann ihn das Gericht auch nicht mit früheren Vernehmungsprotokollen konfrontieren – wer beschuldigt wird, braucht bekanntermaßen nicht auszusagen.

Um Aussage bemüht

Er habe versucht, sich auf seine heutige Befragung vorzubereiten, aber die Akten, die er dafür bräuchte, seien nach wie vor unter Verschluss, sagt der Zeuge. Im Gegensatz zu vielen Anderen, deren Aussagen ich hier bislang gehört habe, erinnert er sich allerdings bemerkenswert gut. Zumindest an die Grunddinge. NAch und nach kann ich mir ganz gut vorstellen, wie das damals abgelaufen ist im Lagezentrum der Polizei.

Sperren und wieder freigeben und wieder sperren

Die Kommunikationsprotokolle belegen: Immer wieder gab es Meldungen, dass es eng würde – an den Vereinzelungsanlagen an den Eingängen zum Tunnel, im Tunnel, auf der Rampe. Zeugenaussagen zufolge auch, weil die Polizei Ketten gebildet und so die Menschen am  Weiterkommen gehindert habe. Der ehemalige Einsatzleiter erklärt, ja, er habe eine Hundertschaft angefordert, die den westlichen Tunneleingang absperren sollte um zu verhindern, dass die Besucher unkontrolliert in den Engpass strömen. Von den Polizeiketten im Tunnel und auf der Rampe habe er dagegen nichts gewusst. Das habe im Zweifel auch in der Entscheidungsbefugnis  der jeweiligen Einsatzabschnittsleiter gelegen.

Haben die Polizeiketten das tödliche Gedränge ausgelöst?

Um halb fünf ist der Zeuge für heute entlassen. Richter Plein erteilt im Anschluss dem anwesenden Gutachter noch einen, wie ich finde wichtigen, Auftrag. Sollte die für das Gutachten anstehende Simulation des Unglücks kein Ergebnis bringen, möge er bitte trotzdem für das Gericht die folgende Frage beantworten: Kann er ausschließen, dass es ohne die Polizeiketten nicht zu einer Menschenverdichtung am Fuße der Rampe – und damit zu dem Unglück – gekommen wäre?

Über den Autor

Geboren 1969 in Bremen, Mensch- und Journalistenwerdung in Rheinland und Ruhrgebiet und seit 2008 für den WDR als Reporterin in Düsseldorf, Duisburg und Umgebung unterwegs. Das Unglück bei der Loveparade habe ich von Anfang an immer wieder journalistisch begleitet, vom Folgetag an viel Zeit im Tunnel verbracht, Eindrücke gesammelt, Menschen befragt, berichtet. Auch über die politischen Folgen, wie die Abwahl des Oberbürgermeisters Sauerland und das juristische Hickhack im Vorfeld dieses Prozesses.

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