Tag drei: Der Prozess wird politisch

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Tag drei: Der Prozess wird politisch

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Vor dem heutigen Verhandlungstag war für viele eigentlich klar: Es wird wieder eine Menge Anträge der Verteidigung geben. Es würde also auch heute ein zäher und langwieriger Tag werden – da sind sich auch die Sicherheitsbeamten an der Zugangsschleuse zum Gericht sicher: „Bis es hier richtig zur Sache geht, das wird wohl dauern“. Und so startet der Tag dann auch eher gemächlich. Etwa zehn Minuten später als geplant geht es los. Das übliche Prozedere: Der Vorsitzende Richter prüft die Anwesenheit. Was heute sofort auffällt: Auch an diesem Prozesstag sind nur wenige Nebenkläger im Prozesssaal. 

Schwere Kritik an Staatsanwaltschaft und Ex-Innenminister

Dann die erste Entscheidung des Tages: Das Gericht lehnt die Besetzungsrüge der Verteidigung von letzter Woche ab, nur um im nächsten Augenblick auch schon die nächste Besetzungsrüge der Verteidigung auf den Tisch gelegt zu bekommen. Ein paar Besucher schütteln ungläubig mit dem Kopf, blicken auf die Uhr. Doch dann nimmt der Prozess plötzlich Fahrt auf. Es gibt mehrere Anträge, den Prozess erst einmal auszusetzen. Die Verteidigung macht der Staatsanwaltschaft schwere Vorwürfe, auch die Anwälte einiger Nebenkläger stimmen zu.

Die Staatsanwaltschaft  habe Fehler bei den Ermittlungen gemacht. Bei einigen Verteidigern hat man das Gefühl, sie redeten sich fast in Rage. Von „tendenziöser“ Ermittlung ist sogar die Rede. Es müssten außerdem 33 Aktenordner zur Loveparade aus dem NRW-Innenministerium hinzugezogen werden.

Polizisten bei der Loveparade am 24.07.2010 in Duisburg

Auch der ehemalige Innenminister Jäger bekommt viel Kritik ab. Er habe direkt nach der Katastrophe die Polizei in Schutz genommen. So hätten die „offenkundigen Versäumnisse“ der Polizei von Beginn an in der Öffentlichkeit „vertuscht“ werden sollen. Vertuscht? Einige Journalisten schauen sich verwundert an und beginnen sofort in ihre Laptops zu tippen und ihre Blöcke zu beschreiben. Das Thema, über das seit Jahren diskutiert wird: Welche Rolle hat die Polizei bei der Loveparade in Duisburg gespielt? Welche Fehler wurden möglicherweise gemacht? So zäh dieser Tag auch begonnen hat – jetzt wird in der Pause von einem „Schlagabtausch“ gesprochen.

Prozess wird vertagt

Zum Ende des Prozesstages dann noch ein Antrag der Strafverteidigung, der für ein paar Sekunden alle Anwesenden zum Schweigen bringt: Es ist ein Antrag auf Einstellung des Prozesses. Die Anklage der Staatsanwaltschaft sei schlicht nicht klar genug, sagen mehrere Verteidiger. Wie solle man die eigenen Mandanten verteidigen, wenn man nicht einmal genau wisse, was ihnen vorgeworfen wird?

Dann ist Schluss. Der Vorsitzende Richter Mario Plein schaltet sein Mikrofon an und sagt: “Es gibt viele wichtige Fragen zum Prozess, die jetzt erst mal geklärt werden müssen.“ Der Prozess wird erst am 3. Januar fortgesetzt. Dann erst gibt es eine Antwort der Kammer auf den Antrag, der für einen Nicht-Juristen absurd erscheint.

Lautes Durchatmen im Saal. Menschen recken die Arme in die Luft und strecken sich. Für viele mag das heute ein unbefriedigender Tag gewesen sein. Viele offene Fragen und bisher kaum Antworten. Die gibt es hoffentlich im nächsten Jahr. Bis dahin “schöne Feiertage und bis nächstes Jahr – In alter Frische“, verabschiedet der Gerichtssprecher einige Prozessteilnehmer. Energie tanken über die Feiertage – das wünscht man allen Anwesenden. 

Über den Autor

1982 im Ruhrgebiet geboren. Nach dem Volontariat ging es für knapp drei Jahre nach Berlin. Dort unter anderem Nachrichtenredakteur beim rbb. Seit 2017 wieder zu Hause im Ruhrgebiet, beim WDR.

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