30 Jahre Liberaturpreis – überrascht?
Ja schon. Wir Gründungsmitglieder hätten vor 30 Jahren ganz sicher nicht gedacht, dass ein besonderer Fokus auf die Arbeit von Frauen im 21. Jahrhundert heute überhaupt noch ein Thema sein könnte.
Und, wie ist der Stand der Dinge? „Muss“ dieser Fokus weiter ein Thema sein?
Aber ja! Sonst hätten wir von Litprom den Preis doch 2013 nicht übernommen mit dem erklärten Ziel, ihn weiterzuentwickeln. Das „Zimmer für sich allein“, das Virginia Woolf für die Frauen gefordert hat, haben die Frauen längst erobert für ihr Schreiben, auch den inneren Raum haben sie gefunden. Woran es nach wie vor hapert ist die öffentliche Wahrnehmung im Literaturbetrieb, und zwar weltweit. Da braucht es noch eine gehörige Portion „Nachhilfe“. Ein Preis nur für Frauen ist meines Erachtens ein gutes Mittel dafür.
Wieso eigentlich „Liberatur“ – mit „B“?
Das ist ein bewusster Stolperstein, den sich die Gründungsmitglieder ausgedacht haben. Liber heißt lateinisch frei, aber auch Buch. Die Idee war, dass der Preis helfen sollte, uns zu befreien, nämlich von einseitigen Wahrnehmungsmustern. Wir wollten auf den kulturellen Reichtum der der so genannten „Dritten Welt“ hinweisen – anstatt immer nur über deren Probleme zu reden. Wir haben uns dabei an unserer eigenen Leidenschaft für die Literatur ausgerichtet und diesen besonderen Literaturpreis erfunden.
Ein internationaler Literaturpreis nur für Frauen – warum das?
Uns ist aufgefallen, dass der Anteil der schreibenden Frauen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und der arabischen Welt extrem niedrig war. Das hat uns in ohnehin frauenbewegten Zeiten motiviert, diesen zu etwas mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen.
Wer qualifiziert sich warum für die Liste der Kandidatinnen?
Ganz am Anfang, als es noch so wenige Frauen gab, die in deutscher Übersetzung überhaupt zu bekommen waren, haben wir noch Listen verteilt und alle um die 100 Mitglieder von LiBeraturpreis e.V. haben gelesen. Aus ihren Stimmen wurde eine Shortlist erstellt, aus der eine Jury aus Literaturprofis die Preisträgerin ermittelt hat. Inzwischen gibt es natürlich viel mehr Titel von Frauen, und deshalb machen wir es umgekehrt: die Shortlist setzt sich aus den Titeln zusammen, die die Jury der Bestenliste „Weltempfänger“ im Vorjahr gewählt hat – das ergibt meisten 8-10 Kandidatinnen – und dann stimmt das Publikum ab.
Was hat sich geändert in den 30 Jahren?
Natürlich hat sich etwas zum Besseren geändert, es gibt überall mehr Frauen, die schreiben und veröffentlichen. Besonders auffällig ist das bei der Literatur aus dem arabischen Raum. Aber: Immer, wenn wir zählen, kommen wir trotzdem nur auf einen Anteil von 25- 30 Prozent. Immerhin gibt es mittlerweile mehr Frauen, die auch international großen Erfolg haben, darunter auch einige LiBeraturpreisträgerinnen. Assia Djebar war 1989 die zweite Preisträgerin, ein paar Jahre später bekam sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Sie war eine absolute Vorreiterin, die sicher vielen weiteren Frauen Mut gemacht hat: Da hat der LiBeraturpreis mit gutem literarischen Gespür schon früh ein Zeichen gesetzt.
In diesem Jahr sind auffällig viele asiatische Frauen auf der Shortlist, oder?
Das spiegelt wohl einen allgemeinen Trend: Man schaut verstärkt nach Asien, da ist vielleicht die größte Entwicklung zu verzeichnen, was die Publikationen in deutscher Übersetzung angeht. Und natürlich spielt die allgemein weltpolitische Lage auch eine Rolle dabei, wohin man schaut. Und dann öffnet sich offenbar auch das Lesepublikum dahingehend. Das sind ja immer Wellenbewegungen, und im Moment scheint es eine asiatische Welle zu geben. In den 1980er Jahren war es der Lateinamerikaboom.
Der Liberaturpreis ist ein Publikumspreis – wie funktioniert das?
Das ist eigentlich mit das Schönste an diesem Preis – das gefällt auch den Autorinnen immer ausgesprochen gut. Die Vorauswahl trifft, wie gesagt, eine professionelle Jury, aber das letzte Wort hat das Publikum. Wir starten mit einer Kick-off-Veranstaltung, in der die Juroren des Weltempfängers jeweils ihr Plädoyer für die einzelnen Titel halten; anschließend beginnt das elektronische Voting über die Seite von Litprom. An dem Abend des Kick-off ermitteln wir einen ersten Trend, danach sind die Leitungen eine Woche lang für alle geöffnet, wobei von jeder Mailadresse nur einmal abgestimmt werden kann. Am 31.5. wissen wir, wer den LiBeraturpreis bekommt und nach Frankfurt zur Buchmesse eingeladen wird. Das ist auch für uns von Litprom immer extrem spannend, weil wir loslassen müssen und die Entscheidung vollständig dem Publikum überlassen.
Hast Du Deine persönliche Favoritin?
Jetzt bei dieser Abstimmung? Soll ich das wirklich verraten? Na gut, ich gebe zu, mein Herz schlägt seit einiger Zeit ganz besonders für südkoreanische Literatur, und Han Kang finde ich eine besonders großartige Schriftstellerin. Aber erfahrungsgemäß freue ich mich am Ende immer, auch wenn es meine Favoritin nicht geworden ist. Die Bücher der Kandidatinnen sind alle gut.
Wie werdet Ihr den 30. Geburtstag denn mit der Preisträgerin feiern?
Daran feilen wir noch. Wir freuen uns aber, dass die Buchhandlung Hugendubel in Frankfurt anlässlich des Jubiläums eine Lesung mit der Preisträgerin machen will. Die Verabredung für das „Blind Date“ steht schon lange, vielleicht kommen noch ein paar weitere dazu. Ein Porträt im Fernsehen wäre schön, vielleicht beim WDR in frau-tv?
Welche Autorinnnen sind Dir in all diesen Jahren besonders ans Herz gewachsen?
Da gibt es schon ein paar, die ich wirklich Weltklasse finde. Dazu gehört vor allem Edwidge Danticat aus Haiti, jetzt USA, die international einen sehr großen Namen hat, bei uns auch mit einigen Titeln vertreten ist, aber nicht so bekannt ist. Oh Jong Hee aus Südkorea wurde für “Vögel” ausgezeichnet, ein Roman, der mich immer noch sehr berührt; ebenso wie Patricia Grace, eine Maori-Schriftstellerin aus Neuseeland. Aminatta Forna aus Schottland/Sierra Leone mit einer ebenfalls großen Karriere in der anglo-amerikanischen Welt wartet noch darauf, hier größer rauszukommen. Ich mag auch die Brasilianerin Patricia Melo sehr, die einfach gute Kriminalromane schreibt. Und last not least Madeleine Thien aus Kanada, die sich intensiv mit ihrer asiatischen Herkunft auseinandersetzt und auch schon im Universum des “Man Booker”-Preises angekommen ist.
Copyright/Foto: Jeanette Faure