Kurze und kürzere Texte aus Chile, Nordkorea und Deutschland – von Alejandro Zambra, Bandi, Marko Martin und Frank Jakubzik.
Schmalere Texte, also Kurzgeschichten, Stories, Erzählungen, führen auf dem Buchmarkt der aufgeplusterten Schwarten ein Schattendasein: Bände mit Geschichten haben nur ausnahmsweise Chancen auf gute Verkäufe, weshalb im Bereich der erzählenden Literatur überwiegend Romane gedruckt werden. „Aufgeplustert“ auch deshalb, weil man häufig bei der Lektüre eines Romans den Eindruck hat, das wäre doch eher eine Kurzgeschichte wert gewesen. Was absurd anmutet, wenn man bedenkt, welch reichhaltige Tradition an Geschichten es gibt – und wie wichtig diese Tradition für die Literatur ist.
Alejandro Zambra: Ferngespräch
Um so erfreulicher jedenfalls, wenn sich ein Verlag doch traut, einen unbekannten Autor mit Stories zu verlegen – wie etwa Alejandro Zambras Band „Ferngespräch“ (Suhrkamp, 20 Euro). Zambra, geboren 1975, ist einer der gefragtesten „jüngeren“ Autoren Chiles, er hat schon mehrere Romane veröffentlicht, schreibt auch Gedichte – und eben Geschichten. Elf solcher Erzählungen sind es, die man in „Ferngespräch“ zu lesen bekommt; kleine Perlen, in denen es um chilenischen Alltag von den 1980er Jahren bis heute geht. Zambra leuchte elf Lebensstationen eines Mannes aus, der er selbst sein könnte, dabei verquickt er Alltägliches geschickt mit großen gesellschaftlichen Themen, die allerdings eher im Hintergrund aufscheinen; und im Fall von Chile, klar, geht’s dabei vor allem um die endende Pinochet-Diktatur, die Übergangszeit und letztlich dann die demokratische Entwicklung bis heute. Zambra schreibt nüchtern, mit Blick auf absurde Situationen und komische Momente, sein Stil ist verspielt und variantenreich. Und wenn man seine elf Geschichten zusammen denkt, ergeben sie letztlich doch einen Roman – beinahe zumindest.
Bandi: Denunziation
Eine ganz besondere und ungewöhnliche Veröffentlichung ist der Band „Denunziation“ (Piper, Euro 20) von einem Autor namens Bandi: Sieben Geschichten, die aus dem Alltag in Nordkorea erzählen, über den wir ja so gut wie nichts wissen, so abgeschottet ist das Land. Bandi ist ein Pseudonym, der Autor muss geschützt werden, es hat Jahre gedauert, bis seine Geschichten auf abenteuerlichen Wegen außer Landes geschmuggelt werden konnten. (Eine Geschichte für sich, kann man im Nachwort nachlesen.) Jetzt erscheinen sie in vielen Ländern parallel – ein Ereignis. Auch deswegen natürlich, weil Nordkorea zuletzt wieder viel stärker ins Licht der Öffentlichkeit gerückt ist. In Bandis Geschichten geht es eigentlich immer um Menschen, die versuchen sich durchzuschlagen und ihr Leben zu führen in einer Gesellschaft, in der totale Kontrolle herrscht – und die dann doch unter gehen in den Mühlen des Totalitarismus; das ist fast unvermeidlich, egal, wie sehr sie sich auch bemühen. „Richtig“ aktuell sind diese – beeindruckenden – Geschichten nicht, sie entstanden zwischen 1989 und 1993, und man kann nicht ermessen, wie sehr sie heute den Alltag in Nordkorea exakt treffen und beschreiben. Sehr viel wird sich unter Kim Jong-un, der seit 2011 regiert, in Sachen Kontrolle und Unfreiheit allerdings wohl nicht verändert haben, eher im Gegenteil. Auf jeden Fall: Eine hoch interessante und aufschlussreiche Lektüre über´s Leben im totalitären Post-Sozialismus.
Geschichten von Marko Martin und Frank Jakubzik
Wer noch mehr kürzere Geschichten lesen möchte, der könnte bei Marko Martin oder Frank Jakubzik fündig werden. Beide sind schon ein paar Monate auf dem Markt, wir hatten noch keine Gelegenheit, ihre aktuellen Bücher vorzustellen, deshalb hier noch schnell, last not least:
Marko Martin, geboren 1970, ist der große Reisende der zeitgenössischen deutschen Literatur, seit seiner Übersiedlung aus der DDR 1989 reist er geradezu manisch durch die Welt – und schreibt darüber. Unter anderem. „Umsteigen in Babylon“ (Männerschwarm Verlag, Euro 20) versammelt gut 20 seiner Geschichten. Marko Martin ist homosexuell, seine „Spezialität“ in Sachen Recherche ist es, von erotischen Zufallsbegegnungen aus gesellschaftliche Gefilde zu durchleuchten. Das ist literarisch spannend, weil Martin seine Erfahrungen gekonnt verdichtet – aber natürlich auch deshalb, weil man, sagen wir, als weniger spezifisch weltoffener Heterosexueller einen hochinteressanten Einblick in gesellschaftliche Gefilde in aller Welt bekommt, die einem sonst verborgen geblieben wären. Und keine Sorge, Sie werden höchstens leicht erröten bei der Lektüre: Martins Geschichten sind erstaunlich offen und natürlich auch erotisch, Porno sind sie nicht.
„In der mittleren Ebene. Erzählungen aus den kapitalistischen Jahren“ (Edition Suhrkamp, Euro 16,50) ist das literarische Debüt von Frank Jakubzik, geboren 1965, der eigentlich als Übersetzer bekannt ist. Jakubzik war lange auch für eine PR-Agentur tätig, die Filme für Konzerne hergestellt hat, insbesondere aus dem IT-Bereich. Aus den Erfahrungen, die er in dieser Zeit sammeln konnte, hat Jakubzik 17 Geschichten gemacht, die in die Innenwelt eines solchen Konzerns führen – und einige der „Persönlichkeiten“, die dort arbeiten, zugleich aber auch Mechanismen, Rituale und Gefüge genauer beleuchten. Die „mittlere“ Ebene, das sind die Loser, die es nicht ganz nach oben geschafft haben, sich aber trotzdem aufopfern müssen, um den Laden zusammenzuhalten. Jakubzik setzt ihnen mit nüchterner Eleganz ein Denkmal.