Fortsetzung folgt: „Das Leben des Vernon Subutex“, Teil 1 und 2

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Fortsetzung folgt: „Das Leben des Vernon Subutex“, Teil 1 und 2

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Gerade erschienen: Der zweite Teil der großartigen Saga um den derangierten Pariser Plattenverkäufer Vernon Subutex von Virginie Despentes. Zum Lesen oder zum Hören gleichermaßen geeignet..

Vernon Subutex? Klingt synthetisch, ein Kunstname. Der aber bestens passt für seinen Träger, wenn man weiß, aus welchem Kontext beide stammen: aus den Achtzigern, hinein wirkend in die neunziger Jahre, aus den Urgründen des Punk, Wave und Indierock, wenn man so will. Jahrelang hat Vernon für einen Plattengeschäft in Paris gearbeitet, den Laden irgendwann übernommen, Revolver, eine, nein: die Institution in Sachen Musik – so lange, bis Umstellung auf CD und vor allem das Netz mit seinen digitalen Distributionen beiden den Garaus gemacht haben. Dem Laden – und seinem Chef, Vernon Subutex.

Und damit fängt alles an, am Beginn des ersten Bandes: Vernon musste den Laden aufgeben, eine Zeit lang hatte er noch Reserve, dann ist auch das vorbei – und er wird vom Gerichtsvollzieher samt seiner Handlanger aus der Wohnung geworfen. Mit ein paar Habseligkeiten, die er schnell zusammenklauben konnte, taumelt Vernon dann durch Paris, kommt mal hier, mal da unter, bei Freunden, Kunden, ehemaligen Gefährtinnen. Was natürlich bloß eine Zeit lang gut gehen kann – dann ist Vernon endgültig unten angekommen, am Anfang von Band 2, genau gesagt, er wird „richtig“ obdachlos und schlägt sich fortan draußen durch. Mehr schlecht als recht.

Wovon Vernon keine Ahnung hat: Es gibt ein paar Leute, die ihn suchen, dringend. Einige wenige, weil sie sich, so scheint es zumindest, tatsächlich um ihn sorgen – und ein paar andere, weil sie an Aufnahmen rankommen wollen, die sie in Vernons Besitz wähnen: Das letzte Bekenntnis seines alten Kumpels, des – sehr berühmten – Sängers Alex Bleach vor dessen Tod. Die einen wollen vermeiden, dass Geheimnisse ans Licht kommen, die andere welche klären, Dritte wittern fette Beute, der Rest macht einfach bloß mit.. Vernon weiß von alledem nichts, wie gesagt – und er weiß auch nicht, dass er langsam selbst zu einer Art Star wird, seitdem die Suche nach ihm viral gegangen ist…

Vernon Subutex also, der (Anti-)Held der französischen Starautorin Virginie Despentes – tasächlich geht es aber gar nicht so sehr um ihn selbst, Subutex ist bloß das Medium, um die Geschichten der ganzen Anderen zu erzählen: der, die ihn suchen – und der, die mit ihm zu tun hatten. Und so entsteht Schicht für Schicht ein ziemlich verrücktes und erbarmungsloses Portrait der Pariser Musik-Kunst-Porno-Kino-Netz-Subkultur; mit einem so gnadenlosen wie zärtlichem Blick auf ein paar Menschen, die erkennen mussten, dass sie, die Einzigartigen, die ganz Anderen, genauso wenig dem Schicksal entkommen können wie alle Generationen vor ihnen: Das Leben hat mit den Jahren alle Träume geschreddert; die wenigsten konnten sich dauerhaft auf der sonnigen Seite festsetzen, und da ist´s im Grunde ebenfalls schattig; die Lebenslügen flogen auf. So einige, zumindest.

Virginie Despentes weiß, wovon sie schreibt, sie entstammt der Szene, die sie seziert, das merkt man ihren Geschichten in jeder Zeile an. Großartig ist, wie sie das tut: auf unbestechliche Weise ehrlich, trotzdem empathisch, hervorragend informiert – und so inszeniert und erzählt, dass man beim Lesen und Hören gleichzeitig etwas distanziert und doch ganz nahe dran ist. Ein Widerspruch? Doch, das geht. Virginie Despentes kann das.

„Baise-moi“ („Fick mich”), ihr Roman von 2002, den sie auch erfolgreich selbst verfilmt hat, machte die 1969 geborene Schriftstellerin schlagartig bekannt; lange galt sie als Indie-Autorin; mittlerweile gehört sie zu den etabliertesten Schriftstellerinnen Frankreichs; die ersten beiden Bände der Vernon Subutex-Trilogie waren nicht bloß dort dicke Bestseller, sondern im Prinzip in ganz Europa. Kein Wunder auch deshalb, weil die Szene, die Despentes mit den Subutex-Geschichten durchmisst, prototypisch ist – und in vielen anderen Städten ganz ähnlich existiert. Beziehungsweise: existiert hat.

Aus der kleinen, überschaubaren (verschwundenen) Welt eines Plattenladens samt seines Besitzers zaubert Virginie Despentes ein großes zeitgeschichtliches Panorama, das allerdings beleibe nicht nur vom Gestern erzählt, sondern auch ganz heutig ist, nicht zuletzt durch die Kinder, die mit ihren Fragen, ihren Ideen, ihrer (unserer heutigen) Zeitgenossenschaft sicher stellen, dass sich die Nostalgie in Grenzen hält. Wobei – an Nostalgie ist Verginie Despentes sowieso nicht interessiert: Früher war alles besser? Nein, keineswegs, das weiß sie genau, darum geht es ihr nicht. Nichts war besser, nur alles anders. Heute sieht man einfach nur etwas klarer: wer damals schon ein Idiot war und wer nicht.

  • Buch: Teil 1 und Teil 2 erschienen bei KiWi, übersetzt von Claudia Steinitz, jeweils 22 Euro.
  • Hörbuch: Teil 1 und Teil 2 erschienen beim Audio Verlag, sehr einnehmend gelesen von Johann von Bülow, jeweils 16,99 Euro
  • Teil 3: Erscheint im Herbst, als Buch und Hörbuch zugleich

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