Lesenswerte, aktuelle Kriminalromane aus Finnland, den USA und Italien – von Antti Tuomainen, Castle Freeman und Carlo Bonini
Ein klassisches Krimimotiv: Der ganz besonders schlechte Tag, der so mies anfängt, dass es eigentlich bloß besser werden kann – was sich allerdings als Illusion herausstellt, denn: schlimmer geht immer. Eine Erfahrung, die auch der Erzähler von Antti Tuomainens Roman “Die letzten Meter bis zum Friedhof” (Rowohlt Hundert Augen, Euro 19,95) machen muss: Beim Arzt erfährt er morgens, dass die Erkältungssymptome, die er hat, von einer Vergiftung herrühren, die unweigerlich zum Tod führen wird; als er wenig später, irgendwie, seiner Frau davon erzählen möchte, erwischt er sie mit einem jungen Kollegen der gemeinsamen Firma beim Kopulieren im Garten. Mehr geht nicht? Doch, mehr geht, versprochen. Die Frage ist nur, was auf den letzten Metern zum Friedhof noch so passieren wird … – Ganz schwarzer Humor, (vor)letzte Dinge, ein finsteres finnisches Kleinstadtportrait – wer mit schlechten Nachrichten umgehen kann, der wird sich mit dieser Krimigroteske bestens unterhalten.
Apropos Kleinstadtportrait: Das kann auch Castle Freeman. Und zwar herausragend. Wie sein aktueller Roman “Der Klügere lädt nach” (Nagel & Kimche, Euro 19) beweist. Nebenbei bemerkt: Klasse deutscher Titel, der die Geschichte genau auf den Punkt bringt; mal einer, der besser ist als das Original, das hat man ja auch eher selten. Wie auch immer: County Sheriff Lucian Wing, der in ein paar Käffern in Vermont für Ruhe und Ordnung sorgt, der Erzähler dieses Romans, hat zwei Probleme. Erstens: Seine Frau hat ihn rausgeworfen, sie lebt jetzt mit einem Hohlkopf namens Jake im gemeinsamen Haus, Lucian selbst nächtigt im Büro. Zweitens: Stephen Roark, der neue Chef des Gemeinderats, ein Auswärtiger, der bei der Army war, drängt darauf, dass Lucian eine Reihe von, sagen wir, Vergehen aufklärt, die das Tal, nun ja, erschüttern: Junge Männer, die querschießen, verschwinden für ein paar Tage, tauchen dann lädiert wieder auf, sind fortan ruhig oder verlassen die Gegend. Vorläufiger Höhepunkt: Terry St. Clair, Dieb und Tunichtgut – dem man eine Hand abgehackt hat. Das Sache ist die: Der Sheriff weiß natürlich genau, wer dahinter steckt. Fragt sich nur: In welcher Weise ist er beteiligt? – Wer den Film “Three Billboards outside Ebbing, Missouri” gemocht hat, der wird diese Geschichte lieben, beide sind, wenn man so will, aus demselben Holz geschnizt, nur dass “Der Klügere lädt nach” noch einen Ticken besser ist: Eine US-Hinterwäldler-Anarcho-Story mit sehr viel Witz, Komik, Biss und Geschick. Das Beste von vielen sehr guten einzelnen Kapiteln ist das mit dem ersten weiblichen Deputy, “Calamity Jane” – ganz großes Kino!
Wem das alles zu viel Kleinstadt und Landleben ist, dem sei zum Schluss noch “ACAB. All Cops are Bastards” von Carlo Bonini (Folio, Euro 18) empfohlen: Ein sehr reduzierter, gleichwohl ausgesprochen dichter dokumentarischer Polit-Thriller, der von überzeugten, radikalen “rechten” jungen Männern berichtet – in der römischen Hooligan-Szene wie bei den Spezialeinsatzkräften der Polizei. Das Story reicht zurück bis zu den G 8-Protesten in Genua 2001, wo eine Einheit Dutzende Globalisierungsgegner so krankenhausreif prügelte, das viele bleibende Schäden davon trugen – sie leuchtet den Müllskandal aus, der 2011 Neapel erschütterte, dabei geht´s auch um Verbindungen zum organisierten Verbrechen – sie kulminiert in einer gigantischen Straßenschlacht in Rom, bei der sich erzverfeindete Hooligangruppen der beiden Fußballvereine Lazio und AS Rom zusammentun, um möglichst viele “Bullen” platt zu machen. – Carlo Bonini, geboren 1967, Jurist und Investigativjournalist, kennt man durch seine Zusammenarbeit mit Gianrico De Cataldo; in Büchern wie “Suburra” oder “Die Nacht von Rom” haben die beiden ihre Recherchen zu den Zusammenhängen von Politik, Gesellschaft und organisiertem Verbrechen in Italien in Form von Genreromanen aufbereitet. “ACAB. All Cops are Bastards” steht diesen so großartigen wie bitteren Romanen in nichts nach: Extrem packend, gnadenlos realistisch. Und, nebenbei: Tolle Literatur.