Immer ein Vergnügen, insbesondere auch zum Hören: Die im besten Sinne völlig ver-rückten Adamsberg-Romane der französischen Historikerin und Archäologin Fred Vargas, in denen sie regelmäßig gleich vier Gefilde durchmisst: Die des Verbrechens, die der Geschichte, die der (Geistes-)Wissenschaften, die der Phantasie. Krimi-Märchen, die eine ganz eigene Note haben – seit 15 Jahren erscheinen sie jetzt auf Deutsch, schon seit bald 30 in Frankreich. „Der Zorn der Einsiedlerin“, das achte Abenteuer mit Adamsberg und seinem schrillen, schrägen, speziellen Team, bietet wieder mal eine ganz besondere Herausforderung – in der Provinz, nahe Nimes, sterben ein paar ältere Leutchen am Gift einer Spinne, der Einsiedlerin eben, das eigentlich bloß dann tödlich wäre, wenn Dutzende der Tiere gleichzeitig zustechen würden, undenkbar also. Was also steckt dahinter? Ein Hör-Abenteuer, das auf jeden Fall. Und ein „Krimi“, der nun zwar in jeder Hinsicht jeglicher (Polizei-)Realität spottet – dafür aber, löst man sich von solchen Erwartungen, jede Menge Erstaunliches und Erkleckliches zu bieten weiß. (Gelesen von Volker Lechtenbrink, übersetzt von Waltraud Schwarze.)
Wie mag es wohl für Vernon Subutex enden? Das ist die ganz große Frage, die der dritte Teil der gleichnamigen Trilogie spektakulär beantworten wird, so viel sei schon mal versprochen – mehr allerdings nicht verraten. Bis dahin: Gewohnt grandios erzählt, mit sehr spezieller Ironie; ein sehr eigener Blick auf die Gegenwart, diesmal nicht bloß samt ihrer unmittelbaren Vergangenheit, sondern vielmehr auch mit einer Exkursion in die baldige Zukunft. Vernon Subutex war Plattenverkäufer, Plattenladenbesitzer, dank der Digitalisierung dann Arbeits- und Obdachloser, schließlich von allen Gesuchter, am Ende dann eine Art DJ-Guru – der „Held“, mit dem Virginie Despentes 20, 30 Jahre Pariser Subkultur so erzählt, dass es auch die Kölner, Bremer oder Berliner Szene sein könnte. So hat man „Milieuschilderung“ jedenfalls noch nicht gehört, noch gelesen: Ein Ritt durch Zeit und Traum, samt aller Desillusionierungen: Freiheit? Kunst? Leben? Ach, Kommerz und Kapitalismus besieht alles. Fast zumindest. In Paris und überall. Wie auch immer: So, ja so könnte es enden, in „Die Geschichte des Vernon Subutex 3“, jetzt im gut sortierten Buchhandel zu erwerben. (Gelesen von Johann von Bülow, übersetzt von Claudia Steinitz.)
Was man „den Franzosen“ nicht hoch genug anrechnen kann: Ihr Interesse für die deutsche Geschichte – speziell für die der NS-Zeit. Eine ganze Reihe von Romanen arbeitete in den letzten Jahren bestimmte (meist: üble) Facetten dieser Geschichte sehr geschickt mit literarischen Mitteln auf. Neuestes Beispiel: „Das Verschwinden des Josef Mengele“ von Olivier Guez. Mengele war der Lagerarzt im KZ Auschwitz, (mit) verantwortlich für Hunderttausende Ermordete, von denen er Hunderte, möglicherweise Tausende mit medizinischen Experimenten zu Tode quälte. Nach dem Krieg lebt er zunächst inkognito auf einem Bauernhof; 1949 setzte er wie so viele Kriegsverbrecher nach Südamerika über, wo er bis zu seinem Tod mehr oder minder unbehelligt lebte. Olivier Guez rekonstruiert diese Lebensgeschichte, erzählt sie nüchtern und lakonisch. Mengele, so lernt man, wurde letztlich nie belangt, weil ihn wohl niemand wirklich belangen wollte. Und er wurde tatkräftig unterstützt, nicht bloß von unbelehrbaren Nationalsozialisten. Ein unfaßbarer Skandal, auch aus heutiger Sicht noch. Und ein großes Fragezeichen: Warum wird die Geschichte dieses banalen Bösen erst jetzt auf diese Weise erzählt? Wie auch immer – besten Dank an Olivier Guez für diese erhellende, ernüchternde Stück Erinnerungskultur. (Gelesen von Burghart Klaussner, übersetzt von Nicola Denis.)