Radikale Reformerin: Die Australierin Candice Fox mischt das Krimigenre auf

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Radikale Reformerin: Die Australierin Candice Fox mischt das Krimigenre auf

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Frisch auf dem Markt: “Redemption Point”, der neue Roman der australischen Schriftstellerin Candice Fox. Einmal mehr – großartig, wie diese Schriftstellerin “Krimi” gewitzt neu denkt und dabei doch die Genre-Traditionen nicht außer Augen verliert. DIE junge Stimme der globalen Spannungsliteratur, würde ich sagen. Aus diesem Grund – eine kleine Verneigung:

Na, auf so eine ver-rückte Konstellation, wie sie Candice Fox in ihren Pharell/Conkaffey-Romanen präsentiert, muss man erstmal kommen: Ted Conkaffey, Familienvater und Vorzeigepolizist mit blütenreiner Weste, wird aus heiterem Himmel beschuldigt, ein junges Mädchen vergewaltigt zu haben. Die Indizien sind erdrückend, reichen trotzdem nicht für eine Anklage – Ted wird auf freien Fuß gesetzt, ist nun persona non grata, die Öffentlichkeit ist überzeugt, dass er schuldig ist, man jagt ihn, jeder Tag ein Spießrutenlauf. Dem zukünftigen Exbullen bleibt nichts anderes übrig, als aus Sydney möglichst weit weg ins Abseits zu fliehen – genauer gesagt in ein Kaff namens Crimson Lake im Norden des Landes. Da trifft Conkaffey nun auf Amanda Pharell, eine völlig verrückte Nudel aus dem Ort, die als Mörderin im Gefängnis saß. An ihre Tat kann sie sich nicht erinnern und von daher auch nicht wissen, dass sie die Tat zwar begangen hat, möglicherweise aber unschuldig ist. Ebenso unschuldig wie ihr neuer Partner in seinem Fall, was neben ihm selbst nur der Täter sicher wissen kann. Zwei komplett Stigmatisierte also, die der beiden schlimmstmöglichen Vergehen gegen Gesetz und Moral geziehen werden – als Ermittlerteam im Namen des Guten (und der eigenen Rehabilitierung), was für eine Idee!

Zwei Romane mit diesen ungewöhnlichen Helden sind bislang auf Deutsch erschienen, übersetzt von Andrea O’Brien, beide sind grandios: Zunächst „Crimson Lake“, jetzt kürzlich auch „Redemption Point“ (Beide bei Suhrkamp, Euro 15,95), einiges ist am Ende von Band 2 aufgeklärt, anderes nicht, mal schauen, wie es weitergeht mit Pharell und Conkaffey am australischen Ende der Welt. Down Under ist ein Hot Spot auf dem Krimimarkt; seit zwei, drei Jahren erscheinen auffällig viele bemerkenswert interessante Genreromane aus Australien. Candice Fox, die sich Pharell und Conkaffey ausgedacht hat, ist Teil dieser Welle – und doch etwas ganz Besonderes, wie sich von Roman zu Roman immer deutlicher zeigt: Die Art, wie sie die narrativen Voraussetzungen des Krimigenres aufgreift, überdenkt, neu abmischt und dann positioniert, ist atemberaubend – so wie eben beispielsweise bei den beiden Ermittlern aus Crimson Lake: Die Charaktere, die Candice Fox entwirft, sind so noch nicht dagewesen, fußen aber trotzdem auf bekannten Mustern. Gleiches gilt für die Plots und Storys, die die Australierin entwickelt; das sind bis in die kleinsten Winkel der Plots hinein typische Genre-Geschichten, irgendwie, trotzdem aber welche, die man so noch nicht gelesen hat.

Das belegt übrigens insbesondere auch für ihre Trilogie „Hades“, „Eden“ und „Fall“, die 2016/2017 bei Suhrkamp auf Deutsch erschien, übersetzt von Anke Caroline Burger: Die Geschichte zweier entführter Kinder, die halbtot eigentlich auf einer Mülldeponie endgültig entsorgt werden sollen, vom Deponiebesitzer, einer Unterweltgröße, allerdings gerettet und aufgezogen werden – und die später Polizisten werden. Sehr spezielle Polizisten mit sehr speziellen Fällen, deren Umsetzung mit voller Pulle die Autorin ganz offensichtlich auch voll auskostete, zum vollsten Vergnügen ihrer Leser. Nach dem Motto: Klotzen, klotzen, klotzen und nochmal klotzen statt kleckern. Was nicht unbedingt als Kritik gemeint ist, das passt schon in diesem Fall. Trotzdem ist es interessant zu beobachten, wie Candice Fox in den folgenden Pharell/Conkaffey-Romanen weniger plakativ operierte, dabei trotzdem aber keineswegs weniger Wirkung erzielte. Und es wird spannend zu verfolgen sein, wie sie sich stilistisch weiter entwickeln wird.

Wie kommt man auf solche Ideen? Und wieso traut sich diese Frau, in Gefilde weiter zu denken, die Hunderten anderen verschlossen bleiben? Wagemut und Erzähltalent, das sind vermutlich erstmal einfach freundliche Gaben, die Candice Fox mit auf den Weg bekam. Ihr Weg, so darf man annehmen, war zudem geprägt von „glücklichen“ Familienverhältnissen in punkto Krimi und Schreiben: Der Vater arbeitete als Bewährungshelfer, er brachte die Knastgeschichten mit. Die Mutter nahm immer wieder Pflegekinder auf, die dann mit in der Familie lebten; Polizisten und Sozialarbeiter gingen ein und aus. So kam die Australierin wohl auch zu dem Thema, das alle ihre Romane prägt: Verlorene Kindheiten, zerrüttete „Normalitäten“.

Candice Fox hat zugehört und aufgepasst und weitergedacht – und sie kennt sich aus in Sachen Krimi, sie operiert mit dem, was das Genre ihr zu bieten hat; dabei denkt sie das Material, mit dem sie arbeitet, allerdings völlig neu. Und sie dreht das Rad der krimi-typischen Variation so unbefangen und mutig weiter, dass dann eben doch nicht nur eine x-te Variante dabei herauskommt, sondern tatsächlich etwas Neues: Krimi ohne Redundanz, Krimi zur Zeit, Krimi mit Zug. Krimi aus der Gegenwart, vielleicht sogar aus der Zukunft, geprägt auch von ganz neuen Formen des Erzählens, im Netz, in Fernsehserien.

Candice Fox ist eine radikale Reformerin, wenn man so will. Die dabei der Krimi-Welt auf geradezu atemberaubende Weise den Spiegel vorhält: Wow, das alles ist möglich in diesem Metier, wenn man den Mut und die Leidenschaft hat, es sich so zu präparieren! Bemerkenswert auch deshalb, weil „der Krimi“ ein Altersproblem hat: Mit dem Boom des Genres in den letzten Jahren sind auch die meisten Protagonisten, die diese Welle surften, in die Jahre gekommen. Auch deshalb wiederholen sich die Geschichten und die Erzählmuster, das Genre erstarrt (Ausnahmen bestätigen die Regel). Interessanten Nachwuchs unter 40 gibt es jedenfalls kaum, und ob in ein paar Jahren noch genügend junge Menschen die Erzählform Krimi als LeserInnen interessant finden, das scheint fraglich. Mitten in diese sich zuspitzende Gemengelage platzt nun also Candice Fox, eine Autorin um die 30, die das Genre zwar nicht neu erfindet, doch aber komplett neu aufstellt. Eine Eigenbluttherapeutin, die Hoffnung macht und vor allem: Lust auf mehr.

(Der Text erschien zuerst in den litprom-“Literaturnachrichten”, nebst vielen anderen zum Thema “Global Crime”, die komplette Ausgabe findet sich hier.)

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