Wenn das amerikanische Drogenproblem auch was Gutes an sich haben sollte, dann ist das zum Beispiel die Tatsache, dass es exzellente Geschichten gibt, die sich von der Thematik inspirieren lassen, allen voran natürlich Großmeister Don Winslow. Jüngstes Beispiel: Der Roman „Lola“ (Suhrkamp, übersetzt von Andrea Stumpf und Sven Koch, Euro 14,95), das Debüt von Melissa Scrivner Love. Sie erzählt von einer kleinen Gang, den Crenshaw Six, die in paar Straßenecken in South Central, Los Angeles in “Obhut” hat – und die, das ist das smart Ungewöhnliche, selbst von einer Frau kontrolliert wird: Lola Vasquez ist nett, zierlich, jung, pflegt gute Nachbarschaft – und hat eine eine ziemlich gute Tarnung, ihr Freund, Garcia, ist nämlich nach außen hin der Chef. Erstmal. Denn es kommt, wie es kommen musste, Probleme mit Konkurrenten, dem Kartell, der Polizei – Lola muss sich outen und die Initiative ergreifen. Einen Plan haben, der möglichst unerbittlich umzusetzen wäre. Oder schlau, schlauer als die Typen. Und sie muss, wie das bei Frauen in Führungspositionen so ist, bei alldem doppelt und dreifach gewieft handeln, um Oberwasser behalten zu können, für sich und die ihren. Melissa Scrivner Love erzählt all das in einer guten Mixtur aus Crime- und Comedyelementen; was zwar noch nicht durchgängig perfekt, alles in allem aber schon sehr ansprechend gelingt. Ein Talent mit Witz und Pfiff. Und allein für den Gag mit dem Toyota Prius am Schluss hat sich die Lektüre schon fast gelohnt, keine Frage.
In Los Angeles und um die Stadt herum sind auch die Geschichten von Ivy Pochoda angesiedelt, die in ihrem ziemlich beeindruckenden Roman „Wonder Valley“ (Ars Vivendi, übersetzt von Sabine Roth und Rudolf Hermstein, Euro 18,–) episodenhaft montiert und dramatisiert sind; man denkt bei der Lektüre nicht von ungefähr vor allem an Filme („L.A. Crash“ zum Beispiel, „Babel“ oder auch „Short Cuts“), das ist filmisches Erzählen in Reinkultur, mit Panoramablick und Tiefenschärfe zugleich. Der Reigen beginnt mit einem Jogger, der frühmorgens durch den an dem Tag mal wieder extrem stauigen Berufsverkehr hetzt – und zwar splitternackt. Der Läufer wird von mehreren anderen Menschen verfolgt, auf verschiedene Art und Weise; hinzu kommen weitere Protagonisten, die ihn sowieso, auch jenseits seiner ungewöhnlichen Laufstrecke suchen. Plus natürlich die Medien, die sich solche Bilder nicht entgehen lassen können; so lange sonst nichts passiert zumindest. Eine extrem starke Einstiegssequenz, in der sich schon (fast) alle Geschichten und Episoden auch verdichten – erzählt wird dann sehr viel vom „Dahin“ plus noch ein wenig „Danach“. Und zwar in Begleitung verschiedener, mal mehr, mal weniger krimineller Charaktere, die allesamt die Tatsache vereint, dass sie auf der Flucht sind, vor sich selbst, vor den Umständen, vor der Vergangenheit, vor dem Gesetz natürlich. „Wonder Valley“ ist auf jeden Fall ein ausgesprochen elegant gestrickter Roman, der den Vergessenen und Verlorenen Stimmen und Gesichter und Geschichten gibt. Sehr beeindruckend. Ob „Wonder Valley“ ein Krimi ist, darüber kann man streiten; auf jeden Fall operiert Ivy Pochada geschickt in den Grenzgefilden des Genres.
Zeitgeschichtlich unterfütterte Kriminalliteratur ist hierzulande ja nun schon seit rund zwei Jahrzehnten ein großes Thema – Tendenz anhaltend. Auch in den USA scheint das Genre sich zunehmend historischen Stoffen zuzuwenden; zumindest erwecken viele Titel, die aktuell ins Deutsche übersetzt werden, diesen Eindruck. Ein zentrales Moment, um das schon einige gute Genreromane kreisten: Die Ermordung Präsident J.F. Kennedy im Jahr 1963, vor dem 11. September das Trauma der jüngeren US-Geschichte schlechthin; eine Tat, die nie wirklich befriedigend aufgeklärt werden konnte, um die sich noch heute jede Menge Mythen und (Verschwörungs-)Theorien ranken. Lou Berney setzt in seinem Roman „Destination Dallas“ (Harper Collins, übersetzt von Mirga Nekvedavicius, Euro 14,99) ganz ohne Zweifel auf die Variante „organisiertes Verbrechen“ – und erzählt davon, wie er sich die Zeit unmittelbar nach dem Attentat ausmalt. Ein Mann, der etwas auf dem Kerbholz hat, trifft auf der Flucht vor einem Killer, dem im Prinzip auf wieder ein Killer auf der Spur ist, auf eine Frau samt ihrer zwei Kinder, die aus der ehelichen Kleinstadtaussichtslosigkeit geflohen ist – viel mehr kann man zur Story nicht sagen, ohne zu spoilern. Jedenfalls: “Destination Dallas” lässt die 1960er Jahre beredt lebendig werden – enthält interessanterweise trotzdem zugleich auch einige Anspielungen auf die tristen Seiten der US-Gegenwart. Alles in allem eine im besten Sinn gut abgehangene, so routiniert wie unprätentiös erzählte Verbrechens-Geschichte für einen der Tage oder Abende, an denen man einfach mal in Ruhe was weglesen möchte, ohne dabei zu irgendwas irgendwie Position beziehen zu müssen. Also: Gute Unterhaltung!