Aus dem Gefängnis

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Aus dem Gefängnis

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Was heißt es, ins Gefängnis gesperrt zu sein, aus politischen Gründen, ohne sich eines Verbrechens schuldig gemacht zu haben? Die türkische Schriftstellerin Aslı Erdoğan, geboren 1967, spürt in ihrem schmalen, auf düster-erschütternde Weise poetischen Roman “Das Haus aus Stein” (Pengiun, 2019, übersetzt von Gerhard Mair, Euro 15,–) den Verheerungen der Haft, die Seelen tötet, nach, indem sie eben um jenes Haus aus Stein kreisend Worte zu finden versucht; Worte, die es eigentlich nicht geben kann, denn es bleiben: gebrochene, erlöschende, zerstörte Seelen. Deren Leben nie mehr das sein kann, was es war. Das Buch erschien 2009 in der Türkei; wurde jetzt erstmals ins Deutsche übersetzt. “Jetzt”, das ist ein paar Jahre später – und, für Aslı Erdoğan, eine, genau die verheerende Erfahrung mehr: 2015 wurde die Schriftstellerin verhaftet; sie verbrachte 132 Tage im Gefängnis, zum Teil in Isolationshaft. Bis sie, wohl auch wegen des internationalen Drucks, entlassen wurde und nach Deutschland ins Exil gehen konnte. Dem Roman, der also nun erschien, ist ein Essay vorangestellt, “Die Masken des Osiris”, in dem Aslı Erdoğan der Frage nachzuspürgen versucht, was diese 132 Tage Gefängnis für sie bedeuten, auch im Ansgesicht ihres Romans. Auch hier – keine Antwort, nur ein Ringen, um Worte, um die zerstörte Persönlichkeit, um ein klein wenig Licht.

Ein weiterer fulminanter und wichtiger Gefängnisroman, ebenfalls auf eigene Erfahrung beruhend, wenn auch ganz anders, ist “Das Schneckenhaus” von Mustafa Khalifa (Weidle Verlag, übersetzt von Larissa Bender, Euro 23,–). Der Roman wurde jetzt im Juni auf die Weltempfänger-Bestenliste Sommer 2019 gewählt; deshalb erlaube ich mir, hier, bei der Gelegenheit, nochmal auf den Text hinzweisen, denn ich am 17. April dazu hier bei “Noller liest” geschrieben hatte:

Mustafa Khalifa war in der Hölle, dreizehn Jahre lang, von 1981 bis 1994. Seine Erlebnisse hat er mit denen eines anderen Mannes, den er dort traf, vermengt und zu einer Geschichte gemacht. Der des Romans „Das Schneckenhaus“ (Weidle Verlag, Euro 23,–), der 2008 auf Arabisch erschien, jetzt auch von Larissa Bender ins Deutsche übertragen wurde: Ein junger Mann, angehender Dokumentarfilmer, kehrt nach dem Studium zurück nach Damaskus – und wird ohne ersichtlichen Grund noch am Flughafen festgenommen. Es folgt ein Martyrium aus Folter, Qual, Demütigung, Hunger, Einsamkeit, tagtäglicher Todesangst. Einen Großteil der Zeit verbringt der Erzähler in einer Massenzelle im Wüstengefängnis Tadmor, erbaut noch von den Franzosen zur Kolonialzeit, später Folter- und Hinrichtungszentrum des Assad-Regimes für Jahrzehnte; ein Gefängnis, das als eines der unerträglichsten der Welt galt, bis ausgerechnet der IS es 2015 zerstörte. Der junge Mann überlebt, möglicherweise zumindest, sofern man so etwas überhaupt überleben kann; seine Strategie ist, alles, was er sieht, mit den Augen eines Dokumentarfilmers zu beobachten und zur späteren Dokumentation innerlich zu notieren. Das Ergebnis: Eben dieser Roman, „Das Schneckenhaus“. Der so brillant wie unerträglich ist. Unfaßbar. Ein Dokument – und Anklage zugleich. Ein Werk über die erbärmlichsten und bösesten menschlichen Abgründe. Und doch auch, sofern man das bei so einem Bericht aus der Hölle überhaupt sagen darf, ein exzellent konstruierter und erzählter Roman. Ein enorm wichtiges Buch, Weltliteratur.

Zuletzt nochmal zurück in die Türkei – und der Verweis zu einem weiteren herausragenden Gefängnisroman – “Istanbul, Istanbul” von Burhan Sönmez (Btb Verlag, übersetzt von Sabine Adatepe, Euro 20), der im September 2017 auf Deutsch erschien. Damals erschien folgende Besprechung bei “Noller liest”:

Ein Barbier, ein Student, ein Arzt, ein alter Herr aus der Provinz – vier Männer sind in einer Gefängniszelle irgendwo im Istanbuler Untergrund zusammen gepfercht. Eine ungewollte Schicksalsgemeinschaft einiger ganz verschiedener Typen mit unterschiedlichsten Lebensläufen, die bloß eines ein: dass sie dort sind, warum auch immer, dass einer wie der andere schwerer Folter ausgesetzt ist, dass keiner weiß, wie es weitergeht.
Wie kann man das ertragen? Zwischen den „Verhören“ erzählen die Männer sich in der Zelle Geschichten, Anekdoten, auch Witze. So entsteht langsam ein Bild der Situation drinnen und draußen: Einerseits das einer Diktatur mit Widerstandsbewegung – wer verdächtigt wird, dort mitzuwirken, landet eben in der Folterhaft. Und andererseits das Bild der beteiligten Personen – wer sie sind, wie sie dort hin gerieten, was ihre Geschichten sind.
Zugleich spielen aber auch viele Mythen der (türkischen) Gesellschaft eine Rolle, zum Teil alte Geschichten, die von Generation zu Generation weiter gegeben werden. Sehr kunstvoll und gekonnt bettet Burhan Sönmez da orale Erzähltraditionen in seine Romankonstruktion ein. Nach und nach zeigt es sich, dass die Fünf im Kerker nicht nur der Aufenthalt dort verbindet, sondern vielmehr auch Dinge, die sich oben, noch in Freiheit ereignet haben. “Fünf” deshalb, weil es auch noch die junge Frau gibt, ein Mädchen aus den Bergen, die in der Zelle gegenüber festgehalten wird, allein…
„Istanbul, Istanbul“ enthält keine direkten Verweise auf die aktuelle Realität der Türkei, der Name Erdogan wird nicht genannt, auch nicht die Bezeichnung AKP, der Roman spielt in einer nicht klar gekennzeichneten Epoche der jüngeren Vergangenheit. Burhan Sönmez, geboren 1965 nahe Ankara, türkischer Kurde, wurde durch Übergriffe der Polizei selbst in den 1990er Jahren schwer verletzt; deshalb darf man annehmen, dass die Geschichte sich insbesondere auch auf seine damaligen Erfahrungen bezieht. Trotzdem ist „Istanbul, Istanbul“ natürlich ganz klar auch eine Allegorie auf die momentanen herrschenden Verhältnisse in der Türkei – aber eben zugleich auch eine Geschichte über den Umgang mit Widerständlern und Delinquenten in Diktaturen an sich. Ein fundamentaler Roman, beeindruckend montiert und erzählt.

Ein Kommentar

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