“Biographie einer großen Stadt“: Der Publizist Jens Bisky erzählt die Entwicklung der Hauptstadt von der Gründung bis in die Gegenwart – mit Blick auf die Geschichten, die die Geschichte prägen.
Jens Bisky, geboren 1966, Kulturwissenschaftler und Publizist, arbeitet als leitender Feuilletonredakteur der „Süddeutschen Zeitung“. Er ist der Sohn des ehemaligen Linken-Vorsitzenden Lothar Bisky; der Maler Norbert Bisky ist sein Bruder, er hat auch das Cover von „Berlin. Biographie einer großen Stadt“ gestaltet. Biskys unterhaltsam lesbare Studie der Hauptstadtgeschichte besticht durch eine enorme Materialfülle auf Basis jahrelanger Recherche; allein der Quellenteil ist über 70 Seiten lang.
Neben der politischen und der architektonischen erzählt Bisky vor allem eine Mentalitätsgeschichte der Hauptstadt; mit Blick auf die vielen Brüche und Widersprüche der Entwicklung speziell im 20. Jahrhundert. Die Zeit seit 1989 interessiert den Kulturwissenschaftler besonders, weil sie ihn auch persönlich stark geprägt hat; im Grunde genommen, sagt er, gehe die Geschichte Berlins als Metropole nach vielen Jahren des Stillstands seitdem erst so richtig los. Die Zeit, die ganz offensichtlich auch für ihn persönlich besonders prägend war.
Die sprichwörtliche Berliner Schnauze mit allem Drum und Dran sieht Lothar Bisky auch als ein Produkt der Geschichte, mit Ursachen lange vor der Wende, die allerdings auch heute noch akut sind: „Etwa die Wohnungsnot, den hohen Anteil von Mietern. Hinzu kommen Skepsis, dauernde Überforderung, zur Schau gestellte Unbeeindrucktbarkeit und ein gebrochenes Selbstbewusstsein.“ Berlin ist etwas Tolles, mit dem es in vielerlei Hinsicht dann doch nicht so weit her ist – diese Ambivalenz spiegelt sich auch in der Mentalität der BerlinerInnen, sagt der Publizist, der an seiner Hauptstadt neben ihrer Vielfalt vor allem Eines schätzt: Ihre Normalität.
(Rowohlt Berlin, 976 Seiten, Euro 38,–)