Kriminalliteratur aus Asien – ist im Moment das reine Vergnügen. Schon seit einigen Jahren kommen vermehrt sehr gute Genreromane aus Japan, Südkorea, Hongkong; man kann da durchaus von einem Trend sprechen. Es ist natürlich schwer zu beurteilen, inwieweit das, was ins Deutsche übersetzt wird, so etwas wie eine Gesamtlage repräsentiert. Tatsache ist allerdings, dass die Romane, die wir (zunehmend) hierzulande zu lesen bekommen, ästhetisch on Top sind, die kreativsten Kriminalromane kommen derzeit eben oft aus asiatischen Ländern.
Eines von drei aktuellen Beispielen – die “Bekenntnisse eines Serienmörders” von Young-ha Kim (Cass Verlag, aus dem Koreanischen von Inwon Park, Euro 20): Ein alternder Serienmörder, der schon lange nicht mehr aktiv ist, muss wieder zur Tat schreiten, weil ein jüngerer Konkurrent in der Gegend sein Unwesen treibt – und die “Tochter” des Alten bedroht ist. Das Problem an der Sache ist, dass der Alte zunehmend alzheimert, er muss alles, was er beobachtet, analysiert, unternimmt, aufschreiben – und genau aus diesen Aufzeichnungen besteht die Story. Ein etwas anderer “Serienkillerroman” also, und zugleich eine sehr spezielle, durchaus philosophische Reflexion grundlegender Fragen. Großartig!
Beispiel 2 – der Roman “Rachegeist” von Caj Jun (Piper Verlag, aus dem Chinesischen von Eva Schestag, Euro 16,–): Shen Ming, ein junger Literaturlehrer, wird für einen Mord an einer Schülerin verantwortlich gemachte, den er nicht begangen hat, bringt kurz darauf einen Kollegen um, den er für verantwortlich hält, wird nur Minuten später allerdings selbst getötet. Soweit die Grundkoordinaten der Story – die dann durch einen Aspekt explosionsartig expandiert: Ein Jahrzehnt taucht nämlich ein kleiner Junge auf, der eine Reinkarnation des Lehrers zu sein scheint, zumindest verfügt er, irgendwie, über dessen Erinnerung. Und er möchte natürlich herausfinden, wer ihn damals getötet hat … Hört sich verrückt an? Ist es auch. Also: ver-rückt. Und nahe an der Unbegreiflichkeit. Trotzdem – oder gerade deshalb – ziemlich faszinierend. Ein Genreroman, der, wie auch die “Bekenntnisse eines Serienmörders”, strukturell unbekannte Wege geht. Der eine erkleckliche Zahl von Mordopfern aufzuweisen hat, nichts für Zartbesaitete. Und der, nebenbei, erstaunlich kritisch über die chinesische Gesellschaft informiert. Krasse Geschichte!
Drittes aktuelles Beispiel – ist “50”, der neue Roman von Hideo Yokoyama. Im Gegensatz zu den anderen beiden hat der Japaner sich auch hierzulande schon einen Namen gemacht, vor allem mit seinem Mammut-Roman “64”, mit dem er 2019 den Deutschen Krimi Preis gewonnen hat. Danach kamen in “2” zwei Erzählungen, deutlich weniger umfangreich. Und jetzt eben “50”, wieder ein Roman, der im Innern der Polizei angesiedelt ist, ein Behördenroman also, von wo aus sich dann der sehr spezielle Krimiplot entwickelt: Ein verdienter Kollege hat seine Frau getötet, sie hatte rapide fortschreitende Demenz, eine Tötung auf Verlangen bzw. assistierter Selbstmord. So weit erstml alles klar. Das Problem ist nur: Statt sich selbst zu töten, wie es ehrenhalber zu erwarten gewesen wäre, ließ Soichiro Kaji zwei Tage verstreichen, bis er sich den Kollegen gestellt und offenbart hat. Was ist geschehen in dieser Zeit, was hat der Mann gemacht? Offizielle Lesart der Polizei, für die die ganze Angelegenheit hochpeinlich ist: Kaji hat einen Platz zum Sterben gesucht, schaffte es aber nicht, sich selbst zu tören. Eine Lesart, die ein Mitarbeiter der – immer konkurrierenden – Staatsanwaltschaft allerdings wenig plausibel findet. Und damit geht die Geschichte, geht die Ermittlung erst so richtig los – zumal irgendwann auch die Presse Wind von den Ungereimtheiten bekommt …
“50” ist ein toller Roman, und zwar nicht bloß wegen der (ausgesprochen smarten) Auflösung, sondern wegen der Art, wie Hideo Yokoyama die Geschichte vorantreibt, auch hier wieder wegen ihrer Struktur also: Das große Ganze setzt sich zusammen aus einem Reigen an kleineren Teilen; Erzählungen, die den Blick verschiedener Protagonisten auf den Fall zeigen, der zugleich doch immer weiter entwickelt wird. Dass da SEHR viel “Gesellschaft” mit transportiert wird, liegt damit natürlich schon in der Struktur der Geschichte. Und der Krimi- bzw. Ermittlungsplot ist “anders”, aber doch ganz vertraut, das ist auf spannende Weise merk-würdig. Ein klasse Krimi, asiatische Genrekost vom Feinsten.