“London Burning” von Parker Bilal startet mit einem spektakulären Fall: In einer Baugrube für ein teures Luxus-Wohnprojekt an der Themse werden zwei Tote aufgefunden – die Frau des Bauunternehmers und ein unbekannter Asiate. Offensichtlich wurden die beiden dort bei lebendigem Leib gesteinigt. Die Frage ist also: Hat dieser Doppelmord religiöse Hintergründe? Und woher kennen sich diese beiden Menschen, zwischen denen sich lange keine Verbindung herstellen lässt … Genrekunst vom Feinsten: “London Burning” (rororo, übersetzt von Ulrike Thiesmeyer, Euro 12,–) ist ein sehr gut geschriebener und geplotteter Metropolenkrimi mit klasse Charakteren, der auf exzellente Weise mitten hinein führt in diese Welt-Metropole London, einerseits in den Schlick und Sumpf von Korruption und Verbrechen, andererseits aber auch in eine Stadtgesellschaft, die mehr oder minder komplett von Migration geprägt ist, mit den entsprechenden Identitätsfragen und Konflikten. Parker Bilal ist Londoner mit sudanesischen Wurzeln; wie er diese Themen in Handlung umsetzt, ist beeindruckend.
Noch ein spektakulärer Fall, diesmal in Glasgow angesiedelt, in Denise Minas neuem Roman “Götter und Tiere” (ariadne, übersetzt von Karen Gerwig, Euro 22,–): In der Vorweihnachtszeit ereignet sich in einem Kiosk mit Postfiliale, das eine asiatische Familie führt, ein Raubüberfall. In der Schlange der Wartenden steht ein alter Mann mit seinem Enkel, den er einem voll tätowierten jüngeren Mann hinter sich zuschiebt mit den leise gezischten Worten: “Er gehört dir.” Der Räuber, so zeigt sich dann, scheint den Alten zu kennen, er zwingt ihn, beim Überfall behilflich zu sein – dann erschießt er ihn und verschwindet. Wo also könnte der Zusammenhang sein? In welchem Part der Lebensgeschichte des Alten, der ein Gewerkschaftsfunktionär war, gibt es so etwas wie einen Link zum Verbrechen? Denise Mina nutzt diesen Fall als Aufhänger, um die Glasgower Stadtgesellschaft zu skizzieren und auch zu sezieren, dabei zieht sie einen Bogen von Kleine-Leute-Milieus über Politik und Polizei natürlich bis hin zum organisierten Verbrechen, und zwar mit jeder Menge spektakulärer Wendungen bis ganz zum Schluss. Reife, intelligente Kriminalliteratur vom Feinsten; die Schottin Denise Mina gehört zu den besten GenrekünstlerInnen Europas.
Ginge es auch hier allzu algorithmisch vor sich, würde jetzt ein Kriminalroman folgen, der in Dublin angesiedelt ist, tatsächlich führt “Der erste Tote” (Suhrkamp, übersetzt von Conny Lösch, Euro 15,95) von Tim MacGabhann allerdings nach Mexiko, wo der Ire lebt und arbeitet. Zwei Journalisten, die es für eine Reportage über die Fracking-Industrie in die Stadt Poza Rica verschlagen hat, finden auf dem Heimweg am Stadtrand eine grausam zugerichtete Leiche. Bei dem Toten handelt es sich um einen jungen Mann, der die örtlichen Proteste angeführt hat – gegen ein Kartell aus Polizei, organisiertem Verbrechen, Politik, Industrie und Sicherheitsdiensten, die Leute also, die auf Kosten anderer und der Umwelt am Fracking dicke verdienen. Reporter Andrew, der Ire, möchte weiter fahren; Carlos der mexikanische Fotograf will dran bleiben. Das bezahlt er bald mit dem Leben – und erst nach und nach realisiert man beim Lesen, dass es viel weniger eine Frage der Ehre ist für Andrew, die Story komplett zu recherchieren und aufzuklären – als eine der Liebe … “Der erste Tote” ist ein sehr guter Journalistenkrimi, der die Koordinaten dieses Subgenres auf eine ganz eigene Weise gekonnt durchspielt. Die Energie dieser Geschichte rührt dabei auch aus ihrer Authentizität: Tim MagGabhann verdichtet und fiktionalisiert die Beobachtungen und Recherchen prototypisch, die er journalistisch nicht aufarbeiten kann oder will, vermutlich auch aus Sicherheitsgründen, dabei bewahrt er sich durchgängig bis zum Schluss das entsetzte, schockierte Staunen angesichts dieser völlig verrohten Variante von “Kapitalismus”, wie sie teils in Mexiko gang und gäbe zu sein scheint.