Gerade überraschend weit oben auf der “Krimibestenliste” eingestiegen, auf Rang 3 nämlich und demnächst als Verfilmung in den Kinos zu sehen, so wir denn im Sommer wieder ins Kino gehen können: “Nur die Tiere” von Colin Niel, ein besonderer und bemerkenswerter Dogma-Genreroman aus Frankreich.
Alles wiederholt sich, im Großen und Ganzen ist “Krimi” mitunter ganz schön redundant. Speziell in den letzten Jahren. Um so schöner, wenn einen ein Kriminalroman doch mal wieder zu überraschen weiß. Oder sogar etwas Ungekanntes bietet. Zum Beispiel eine Erzählerin, die im französischen Zentralmassiv als Sozialarbeiterin für einsame Bauern in entlegenen Weilern arbeitet. Da, wo diese Bauern oft die einzigen sind, die es in diesen Weilern überhaupt noch hält. Hatten wir noch nicht. Beziehungsweise: Gab es in meiner Lesekarriere bislang nicht, so weit ich mich erinnern kann. Das ist – dann doch etwas überraschend – in vielfacher Hinsicht interessant. Gar nicht redundant, im Gegenteil. Und ja, auch ziemlich spannend. Auch dann, wenn man kein Spezialinteresse an die Schicksalen derangierter Bauern im französischen Zentralmassiv hat.
Dabei kommt es Colin Niel in seinem Roman “Nur die Tiere” auf den Thrill und auf konventionelle Spannungsbögen nun wirklich überhaupt nicht an. Dieser Roman ist eher – eine Genre-Meditation. In einem Städtchen im französischen Zentralmassiv ist eine Frau verschwunden, und dieses Verschwinden hat mehr oder minder direkt mit den Leben von fünf Personen zu tun, aus deren Perspektive er diese Geschichte erzählt. Eine dieser Erzählerfiguren ist die Sozialarbeiterin, sie hat mit einem Schafzüchter weit oben im Nirgendwo eine Affäre angefangen, weil ihr Mann, ebenfalls Bauer, ihr sexuell nicht das geben kann, was sie sich wünscht und erwartet. Ihre eigene Geschichte berührt die der Verschwundenen nur indirekt, die beiden Männer sind dafür, ohne voneinander zu wissen, um so direkter verwickelt, wenn auch ganz und gar unterschiedlich. Am Ende führen diese Verwicklungen sogar bis in den Senegal, alles hängt auf unscheinbar schicksalhafte Weise zusammen, global, nicht nur reginal, letztlich.
Was ist passiert? Wird die Verschwundene jemals wieder auftauchen? Zumindest ihre Leiche? Wer hat sie, falls das passiert ist, wirklich getötet – und wer ist verantwortlich? Diese Fragen, die fürs Kriminarrativ natürlich wichtig sind, werden nach und nach entblättert, irgendwann weiß man weitgehend Bescheid als Leser, was der Spannung aber keinen Abbruch tut, denn die schöpft aus der Beobachtung der Milieus um die Geschichte herum: Ein ganz exakter, mehr oder minder dokumentarischer Blick auf die Verhältnisse, in denen die Menschen in dem Städtchen und die drum herum so leben. Inklusive der Bauern. Und der Zugezogenen. Und derjenigen, die weit weg sind, aber doch eine Verbindung haben, wie virtuell auch immer diese sein mag. Milieu – und soziologische Strukturen also, wenn man so will. “Nur die Tiere” erzählt eine faszinierende Geschichte aus der Gesellschaft über die Gesellschaft. Inklusive Kleinbauern-Sozialarbeiterin. Karg, reduziert, entschleunigt. Mit Blick speziell auch auf die Einsamkeit, unter der alle auf verschiedene Weise leiden. Warum finden sie nicht zusammen, nie? So sind sie wohl, die Menschen.
Colin Niel: Nur die Tiere. Aus dem Französischen von Anne Thomas. Lenos Verlag, Euro 22,–. Kommt in der Verfilmung nach Lage der Dinge unter dem Titel “Die Verschwundene” im Sommer 2021 in die Kinos. Hier geht´s zum Trailer, der schonmal ziemlich interessant aussieht..