Éric Plamondon – Taqawan

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Éric Plamondon – Taqawan

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Wann ist eigentlich die Geschichte eines Verbrechens noch ein Krimi – und wann dazu im Gegensatz schon nicht mehr? Im Bereich der Genreliteratur, Abteilung „Kriminalroman“, haben in den Jahrzehnten vielfältige Entwicklungen stattgefunden, ein teils hoch kreativer Prozess. Am Interessantesten war er oft da, wo SchriftstellerInnen die Grenze des Genres ausgelotet haben. Die, wie sich herausstellte, einen ausgesprochen schmalen Grat darstellt – so schmal, dass möglicherweise gar keine Grenze mehr auszumachen ist. Ein Krimi? Na ja, halt ein Roman. Und das eröffnet Möglichkeiten …

Jüngstes Beispiel dieser Entwicklung ist der (Kriminal-)Roman „Taqawan“, in dem der kanadische Schriftsteller Éric Plamondon sich mit der Geschichte und Gegenwart der First Nations, der indigenen Bevölkerung Kanadas also, auseinandersetzt. Nämlich, indem er sehr viele sehr verschiedene Facetten dieses Themas auf unterschiedlichste Weisen transportiert, darunter auch die eines Verbrechens und seiner Ermittlung. Diese Krimiebene ist also einerseits nur ein Teil des Gesamtnarrativs – hat doch eminente Bedeutung dadurch, dass sie den Gesamtkontext als solchen überhaupt fassbar und sichtbar macht.

Worum es geht, angesiedelt 1981 nahe Québec, basierend auf realen Geschehnissen: Der Ranger Leclerc, zuständig für die Überwachung von Naturschutzgesetzen, hat seinen Dienst quittiert, weil er es nicht mehr ertragen konnte mit anzuschauen, wie die Behörden die Mi`gmaq, eine indigene Bevölkerungsgruppe auf ihrem eigentlich autonomen Stammesgebiet drangsalieren. Offiziell geht es um den Artenschutz, um Fangquoten für Lachse, tatsächlich sind „die Indianer“ mit ihren Interessen aber bloß ein Kollateralschaden anderweitiger politischer Prozesse, einer Auseinandersetzung regionaler Behörden mit denen der Bundesebene.
Als Leclerc weitab von allem beim Angeln entspannen möchte, entdeckt er ein schwerst traumatisiertes Mädchen: An ihrem 15. Geburtstag wurde Océane, eine Angehörige der Mi`gmaq, von drei Männern vergewaltigt – und zwar von Polizisten. Die wiederum Teil eines Rings von Pädophilen mit weiteren – indigenen – Opfern sind. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, Ermittlung und Thriller zugleich: Leclerc muss das Mädchen schützen und die Täter überführen, die wiederum auf der Jagd sind, um die unliebsame Zeugin zu beseitigen …

So weit die Krimiebene; ein Blick, wenn man so will, in den Maschinenraum dieses Romans. Daneben schaut „Taquwan“ beispielsweise auf die Geschichte der (französischen) Kolonisierung, entführt in das auch nicht bloß idyllische Leben der Mi`gmaq davor, schwelgt in der üppigen Naturgefilden aller möglichen Zeiten, erzählt alles, was man über Lachse wissen muss, diskutiert die kulturgeschichtliche Bedeutung des Lachsfangs, belegt die strukturelle Benachteiligung indigener KanadierInnen bis heute trotz aller gesetzlichen und gesellschaftlichen Änderungen und so weiter und so fort.

Éric Plamondon bedient sich dabei verschiedenster literarischer Mittel: „Taqawan“ ist historische Untersuchung, Nature Writing, gesellschaftspolitische Untersuchung, Essay, Abenteuergeschichte – und eben auch Kriminalroman. Interessant ist ist die Art, wie diese verschiedenen Erzählstrategien sich ergänzend assoziativ angeordnet sind: In Dutzenden, meist kurzen Kapiteln, die sich ergänzen und zunehmend stärker interferieren – nicht aber in einem konventionell-geschlossenen Narrativ, in dem die thematischen Ebenen, die mitschwingen, den Krimiplot letztlich bloß ergänzen, diesem aber immer untergeordnet sind.

Und ist „Taqawan“ nun ein Krimi? Puh, schwer zu sagen. Jein. Auf dem Grad. (K)ein Krimi also, das aber ganz hervorragend. Auf jeden Fall aber: Ein herausragender und mutiger Roman. Auch deshalb, weil Éric Plamondon eben nicht auf Erzählkonventionen, sondern auf die wache Intelligenz seiner aktiven LeserInnen setzt – und damit natürlich voll ins Schwarze trifft.

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