Neulich rief N. an. Sie ist Lektorin, zuständig für “Krimi”, eine Expertin, die ich sehr schätze. N. ruft selten an, um auf “ihre” neuen Bücher hinzuweisen, das nimmt man dann ernst. Gut, nehme ich sie sowieso. Jedenfalls: Sie habe da einen besonderen Roman, sagte N., insbesondere durch die Erzählperspektiven, speziell die eines kleinen Jungen, ob ich mir den mal anschauen möge. Ja, habe ich gemacht – und ja, stimmt: “Unter dem Sturm” von Christoffer Carlsson ist ein besonderer Roman, sehr interessant, ausgesprochen lesenswert: Ein Haus brennt, irgendwo in der südschwedischen Provinz, die Feuerwehr findet eine tote junge Frau, nicht weit entfernt in einem Waldstück liegt ihr verletzter Freund. Die Sache scheint klar, ein Beziehungsstreit, der Freund geht in den Knast. Oder war es doch ganz anders? Der Frage spürt der Roman im zweiten Teil nach, neun Jahre später, der “Täter” sitzt immer noch; der Junge, sein Neffe, und der junge Polizist, aus deren Perspektiven die Geschichte im ersten Teil erzählt wurde, treffen wieder zusammen, die Ermittlungen gehen wieder los, möglicherweise zumindest. Und es gibt noch einen dritten Teil … Ein alltägliches Verbrechen – aus dem Christoffer Carlsson durch seine Konstruktion, durch die Perspektiven eine spektakulär-unspektakuläre Reflexion darüber macht, wie das Verbrechen Spuren im Leben auf derer hinterlässt, die eigentlich weit entfernt sind vom Geschehen, von der Gewalt, die sich ereignet hat. Die aber zieht sich durch die Leben, durch die Gesellschaft, wie das sich ausbreitende Kreisen der Wellen im See, in den jemand einen schweren Stein geworfen hat, einer sitzt im Gefängnis, andere werden nicht die, die sie sein könnten, derweil verrinnt die Zeit … (Übersetzt von Susanne Dahmann, Rowohlt, Euro 22,–)
Insel-Lektüre (12): “Unter dem Sturm” von Christoffer Carlsson
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