Die aus der Kälte kommen: Aktuelle Spionageliteratur von John leCarré, Viet Thanh Nguyen und Yassin Musharbash

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Die aus der Kälte kommen: Aktuelle Spionageliteratur von John leCarré, Viet Thanh Nguyen und Yassin Musharbash

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Ein neuer Kalter Krieg, so heißt es ja öfter mal, wenn die aktuelle Eiszeit in den politischen Verhältnissen zwischen West und Ost beschrieben wird. Der Kalte Krieg – da denkt man natürlich sofort die Spionageromane der damaligen Zeit, etwa von John leCarré, Alistair McLean, Ian Fleming und, und, und… Und heute?

Das Genre des Spionagethrillers lebt durchaus; es leidet allerdings ein wenig darunter, dass die klassische Ost-West-Frontalstellung verloren ging – die interessanteste Fiktion in Sachen Spionage in den letzten Jahren gab´s mit „Homeland“ im Fernsehen. Zentrales Thema in der Spionageliteratur war zuletzt immer wieder die Korruption und Verdorbenheit innerhalb der eigenen Geheimdienste, auf die meisten Storys hinausliefen. Was in Zeiten der Aufrüstung der Dienste natürlich ein ausgesprochen wichtiges Thema ist, siehe zum Beispiel die offenen Fragen rund um die NSU-Mordserie. Trotzdem – es ist fast ein wenig einseitig geworden in diesem Metier, weil es in Varianten immer wieder dieselbe Geschichte ist, die erzählt wird. Das allerdings, zugegeben, manchmal grandios.

Gut jedenfalls, dass John leCarré wieder da ist. Beziehungsweise: Immer noch. Ihm gelingt diese Geschichte zum einen besonders plausibel, weil er einer ihrer Mit-Erfinder ist; zum anderen erinnert er daran, dass die Verkommenheit der Dienste schon immer zur Grundmixtur des Genres gehörte, früher wurde durch den Feind außen („die Russen“) davon bloß stärker abgelenkt. Und leCarré ist drittens ein Meister des Sub-Genres, der auch auf seine alten Tage, er ist 86, immer noch neue Varianten hinzufügen kann, das belegt sein neuer Roman „Das Vermächtnis der Spione“: Ein alternder Agent, der sich längst zur Ruhe gesetzt hat, muss da zurück in die Zentrale nach London, weil die Kinder zweier Toter an der Berliner Mauer in den 60er Jahren Klage gegen den Dienst eingereicht haben – so wird einerseits die Geschichte von damals erzählt, andererseits aber auch die Gegenwart der Spionage damit verwoben. Grandios, wie leCarré dies konstruiert, indem er seine Protagonisten die Ereignisse aus der Hoch-Zeit des Kalten Krieges rekonstruieren lässt; beeindruckend, wie er dabei die die Ingredienzien des Erzählens von den Geheimdiensten frisch zusammen mixt, und zwar gerüht, nicht geschüttelt. Ein „Vermächtnis“ ist dieses Alterswerk auch im Blick auf´s eigene Schaffen – es liest sich durch seine Erzählweise allerdings ganz und gar zeitgemäß, mit großem Vergnügen.

Ein toller Erzähler, aber ganz anders, ist auch Viet Thanh Nguyen, geboren 1971 in Süd-Vietnam, aufgewachsen ab 1975 in den USA, der mit seinem Debütroman „Der Sympathisant“ den Pulitzer-Prize gewann und sogar einen Bestseller landete. Viet Thanh Nguyen erzählt von einem Mann, der während des endenden Vietnamkrieges Adjudant eines Generals im mit mit den USA verbündeten Süden ist, tatsächlich aber für „den Vietkong“, also für den kommunistischen Norden als Agent arbeitet. Als die USA sich zurückziehen, flieht dieser Erzähler, Sohn einer Vietnamesin und eines französischen Priesters, mit einer Gruppe von Offizieren und deren Familien in die Staaten – wo seine „heimliche“ Arbeit allerdings nicht endet, wo er nicht bloß die Amerikaner, sondern auch die vietnamesischen Exilanten ausspionieren soll; mit dem Ende des Vietnam-Krieges, das in eindrücklichen Bildern beschrieben wird, geht die Geschichte also erst so richtig los. Eine Geschichte, die zwar auch Strukturen des Spionageromans bedient – mindestens ebenso sehr aber ein autobiografisch geprägter Blick auf´s Gelobte Land der Vereinigten Staaten aus Perspektive eines vietnamesischen Einwanderers ist, der gleich in mehrfacher Hinsicht ein Identifikationsproblem hat. Plus – der Vietnamkrieg: Tatsächlich ja eine militärische Niederlage der USA mit Pauken und Trompeten, die allerdings durch unzählige Vietnam-Geschichten in Film und Literatur „gefühlt“ fast relativiert wurde – Viet Thanh Nguyen setzt dieser stets us-egozentrischen Perspektive in seinem stilistisch hervorragenden Roman ein Bild entgegen, in dem auch Mal „die“ Vietnamesen eine entscheidende Rolle spielen.

Und wie kann man Spionage hier und heute in Deutschland literarisch aufbereiten? Yassin Musharbash, geboren 1975, Journalist im Investigativressort der „Zeit“, erzählt in seinem neuen Roman „Jenseits“ von Gent Sassenthien, einem ehemaligen Medizinstudenten, der sich radikalisiert hat, zum IS nach Syrien ging – und nach einigen Jahren in die BRD zurückkehren möchte. Das ruft natürlich einerseits die deutschen Sicherheitsbehörden auf den Plan und andererseits die entsprechend zuständigen Kader beim Islamischen Staat. Hier wie dort ist die Frage zentral, wie sehr man dem deutschen Konvertiten trauen kann; die jeweilige Antwort wird für Gents Überlebensperspektiven entscheidend sein. Wird Sassenthien also lebend nach Deutschland zurückkehren? Und wenn ja – was hat er dann zu bieten? Kommt er als Geläuterter – oder als Agent der islamistischen Extremisten? Und überhaupt – wie viel Blut hat er selbst an den Händen kleben? Als Journalist ist Yassin Musharbash u.a. Experte für den Nahen Osten und eben für den radikalen Islamismus, er kennt sich in den entsprechenden Milieus bestens aus, hat aber auch engen Kontakt zu Berliner Sicherheitskreisen. All das fließt sehr gekonnt in seinen zweiten Roman mit ein, der ein wirklich gelungenes Beispiel ist für aktuelle Spionageliteratur aus dem Hier und Jetzt: „Jenseits“ ist raffiniert geplottet, konzentriert erzählt und sehr geschickt inszeniert. Man merkt, dass Yassin Musharbash vom Altmeister John leCarré beeinflusst ist, für den er eine Zeitlang als Rechercheur gearbeitet hat – und der ihm den Schubs gab, es doch mal selbst mit dem Schreiben zu versuchen. Gute Idee, das.

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