Lize Spit: Und es schmilzt (Lübbe Audio, Euro 15,99. Roman: Fischer, Euro 22)
Aufwachsen auf dem Land? Nicht immer ein großes Vergnügen. Zum Beispiel in dem kleinen Dorf in Flandern, in dem Eva groß geworden ist, um die Jahrtausendwende herum: Fast 10 Jahre war die junge Frau aus Brüssel nicht mehr zu Hause, hat ihre Eltern nicht mehr gesehen. Jetzt wagt sie es mal wieder, weil Pim, ein alter “Kumpel”, nicht bloß die neue Melkanlage auf seinem Hof feiert, sondern auch seines Zwillingsbruders Jan gedenkt, der die Tage seinen Dreißigsten gefeiert hätte – wenn er nicht damals, mit 15, 16 ums Leben gekommen wäre. Ein traumatisches Erlebnis insbesondere für Eva, eines von vielen – die sie nach und nach aufdeckt und erzählt, während sie, mit einem Eisblock im Kofferraum, zurück in die “Heimat” fährt. Wozu der dient – wird sehr spät klar, kann man nicht verraten, hat es allerdings in sich…
In ihrem Debütroman “Und es schmilzt”, der in Belgien ein großer Erfolg war, erzählt Lize Spit, geboren 1988, zweisträngig: sie arbeitet sich aus der tristen Gegenwart der Heldin, die von ihrer Vergangenheit nicht loskommt, mit jedem Kilometer Schritt für Schritt zurück in die prägende Jugendzeit – und taucht in jedem zweiten Kapitel zugleich aus Sicht der jugendlichen Erzählerin unmittelbar in die Geschehnisse von damals ein. Sehr ausführlich lotet sie sie so Kindheits- und Jugenderlebnisse aus, wohl um genügend Anlauf zu haben, das dann auch erzählen zu können, was Ewa zu dem Plan mit dem Eisblock gebracht hat. “Und es schmilzt” ist ein starker, fordernder Debütroman, in dem es letztlich um Mißbrauch (in vielfacher Weise) geht – und für dessen Hörbuchvariante die Schauspielerin Anna Thalbach die perfekte Besetzung ist, weil sie die Härte, die Ewa um ihre Verletzlichkeit legen musste, schon stimmlich intensiv zu inszenieren weiß.
Andreas Pflüger: Niemals (Random House Audio, Euro 14,99. Roman: Suhrkamp, Euro 14,99)
Terror? Kapitalismus! – So könnte man den Bunisnessplan des Mannes namens “Der Broker” beschreiben, der in Andreas Pflügers neuem Roman “Niemals” sein Unwesen betreibt – mit Börsenspekulationen lässt sich viel, sehr viel Geld verdienen, dann vor allem, wenn man seine Spekulationen an eigens inszenierte Anschläge koppelt. Der böse Mann hat allerdings noch eine Rechnung offen, jemand hat ihm zwei Milliarden entwendet, die er zurückhaben möchte – und deshalb letztlich jagt er Jenny Aaron, auf deren Konto das Geld aufgrund von Manipulationen eines anderen gelandet ist, (mindestens) ebenso verbissen wie sie ihn. Jenny Aaron, deren zweites Abenteuer Andreas Pflüger in “Niemals” erzählt, ist eine Art Superspezialermittlerin in einer geheimen bundesdeutschen Ermittlergruppe – und sie ist (infolge einer Verletzung im Einsatz) erblindet. Möglicherweise vorübergehend, das weiß man nicht so genau, das zweite Thema, das dieser packende, flirrende Roman erzählt.
Andreas Pflüger, geboren 1957, hat sich eigentlich als Drehbuchautor einen Namen gemacht; “Niemals” ist sein dritter Roman; die Hörbuchvariante wird von der Schauspielerin Nina Kunzendorf klasse inszeniert. Eine Prise “Dr. Mabuse”, ein wenig in die Zukunft gedachter James Bond, sehr viel Bourne-Identity und jede Menge aktuelle Zusammenhänge von Politik und Verbrechen, so ungefähr darf man sich den Mix vorstellen, den Andreas Pflüger extrem gekonnt, um nicht zu sagen: brillant anmischt und montiert. Ein hoch intelligenter, zeitgenössischer Thriller – mit das Beste, was man derzeit in diesem Bereich (auch international) zu lesen bekommt.
Melanie Raabe: Die Wahrheit – das Hörspiel (Hörverlag, Euro 11,99. Roman: btb, Euro 16,99
Sieben Jahre musste Sarah Petersen bangen und hoffen, nachdem ihr Mann Philipp, ein wohlhabender Manager, in Südamerika entführt wurde. Um so größer erst die Freue, als Philips Rückkehr von der Bundesregierung angekündigt ist – und gleich darauf, am Flughafen, der Schock, als Sarah erkennen muss: der Mann, der da aus der Maschine stieg, ist nicht ihr Mann, ihr Philip. Das Problem dabei: Keiner glaubt ihr. Und sie kann nichts dagegen machen, dass der fremde Mann bei ihr einzieht – denn der droht, dass sie alles verlieren wird, auch ihren Sohn, wenn sie sein Spiel nicht mitmacht. Und so bleibt Sarah nichts anderes übrig, als sich der Situation zu fügen und eigene Nachforschungen anzustellen: Wer ist der Mann, und was ist mit “ihrem” Philipp passiert?
Melanie Raabes zweiter Thriller “Die Wahrheit” dekliniert die Beziehungsfrage und die, wie sehr man einander trauen kann, auf ganz eigene Weise durch; packend für die Hörer und Leser auch deshalb, weil bald Zweifel auch an Sarah gestellt werden: Es gibt Erinnerungslücken – und es gibt den einen oder anderen Schatten in ihrer Vergangenheit. Kann man ihr trauen? Kann er, “Philipp”, ihr trauen? Oder ist am Ende möglicherweise alles ganz anders als anfangs gedacht? Der Roman “Die Wahrheit” erschien 2016, jetzt ist die einstündige Hörspielvariante des NDR als CD veröffentlicht worden, besetzt unter anderem mit Ulrike C. Tscharre und Felix Klare, bearbeitet und dramatisiert von Sven Stricker. Ein starkes Stück, das den Roman auf seine Essenz konzentriert und diese packend inszeniert.