Dringende Empfehlung von Polar-Verleger Wolfgang Franßen: Benjamin Whitmers Noir “Im Westen nichts”

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Dringende Empfehlung von Polar-Verleger Wolfgang Franßen: Benjamin Whitmers Noir “Im Westen nichts”

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Dem Tod so eben von der Schippe gesprungen – ist der kleine, feine Hamburger Polar Verlag dieser Tage, weil Verleger Wolfgang Franßen das erlebte, was man “einen Sechser im Lotto” nennt: Der Insolvenzantrag war schon gestellt, da fand sich ein Finanzier, ein Fan der Bücher von Polar, der den Verlag auslöste, die Schulden übernahm und auch noch für eine Fortsetzung des Betriebs einsteht.
Guter Mann, so viel ist klar – dem man erstmal nicht genug danken kann: Bei Polar erscheinen hart gesottene, rauhe Noirs, die häufig extrem lesenswert sind; in den drei, vier Jahren seit Bestehen des Verlags waren schon einige Spitzen-Titel dabei. Für seinen Traum, einen solchen Verlag am Markt zu etablieren, hat Wolfgang Franßen alles in die Waagschale geworfen, auch sein Privatvermögen, was man je nach Perspektive etwas verrückt oder auch ziemlich bewundernswert finden kann.
Dass er beinahe damit gescheitert wäre, ist jedenfalls alles andere als ehrenrührig – eher fast zwangsläufig: Es ist unfaßbar schwer, in stürmischen Zeiten einen solchen Verlag am Markt zu etablieren, man braucht Jahre, bis das Projekt (in den Buchhandlungen) auch so bekannt ist, dass ein nennenswerter Umsatz entsteht. Hinzu kommt, dass das Frühjahr 2017 besonders schwierig war, für alle Verlage, insbesondere aber für die kleinen. Das brach Polar das Genick – beinahe.
Toll jedenfalls, dass es weiter geht mit den Polar-Titeln, und es sind sogar neue Facetten im Programm geplant, etwa eine Reihe “Deutscher Noir”. Ein Problem ist jetzt, kurz vor dem Weihnachtsgeschäft, dass die Titel, die für den Herbst und Winter vorgesehen waren, unterzugehen drohen, weil sich kaum jemand um angekündigten Neuerscheinungen eines Verlages kümmmert, der bald nicht mehr existieren wird. Eigentlich, wie gesagt. Und deshalb an dieser Stelle ausnahmsweise mal keine Rezension, sondern eine Werberede: In seinem Gastbeitrag empfiehlt Wolfgang Franßen seinen Lieblings- und Spitzentitel aus dem Polar-Programm Herbst/Winter 2017:

Polar-Verleger Wolfgang Franßen über Benjamin Whitmers Roman „Im Westen nichts“

Vor einigen Jahren wurde ich auf Benjamin Whitmer aufmerksam gemacht. Bei solchen Tipps ist es üblich, dass sie eingehen mit „ein unglaubliches Talent“, „der wird seinen Weg gehen“ oder „musst du unbedingt lesen“. Bei Benjamin Whitmers „Nach mir die Nacht“ brauchte ich dreißig Seiten, um das erzählerische Risiko zu würdigen: Einen Roman im Noir, im Hard-Boiled anzusiedeln und neben einer knallharten Dealer-Geschichte das Leben eines Gefahrentransporteurs zu erzählen, der seinen Sohn wegen eines Kunstfehlers verloren hat und ihm Briefe schreibt, weil er mit dem Verlust nicht fertig wird – was für ein Wagnis! Und da ich Autoren mag, die Risiken eingehen, war mir schnell klar: Dieses Buch muss unbedingt im Polar Verlag erscheinen. Nicht nur dieses – alle anderen von diesem Autor auch.

Deswegen haben wir in diesem Sommer seinen Erstling veröffentlicht. „Im Westen nichts“ (Originaltitel „Pike“). Wiederum die Geschichte eines Verlustes. Gradliniger erzählt, der Schrecken kommt unvermittelter, und doch ist auch hier ein Mann auf der Suche nach Vergebung: Pike, der Held der Geschichte, hat seinen Frieden mit sich gemacht, das glaubt er zumindest. Hinter diesem scheinbaren Frieden liegt jedoch eine endlose Vorgeschichte voller Gewalt. Als eine Freundin seiner verstorbenen Tochter auftaucht und ihm seine Enkelin bringt, weil Pike nun mal ihr einziger Verwandter ist, braucht es einige Zeit, bis die Enkelin etwas wie Nähe zulässt. Pike ist von Rachegedanken erfüllt und macht sich auf den Weg, die Wahrheit über den Tod seiner Tochter herauszufinden. Wie in „Nach mir die Nacht“, der es auf Krimi-Bestenliste geschafft hat, mit einer faszinierenden Figurenzeichnung bis in die kleinsten Nebenrollen hin.

Nun muss ich zugeben, dass ich bei „Im Westen nichts“ für die schlimmste Voraussetzung überhaupt für den Start einer Neuerscheinung gesorgt habe: Ein Insolvenzantrag. Warum sollen Kritiker dieses Buch noch besprechen, wenn es den Verlag sowieso nicht mehr lange gibt? Womöglich wäre das Buch gar nicht mehr zu kaufen, wenn die Kritik erscheint.
Also wurde Benjamin Whitmer und seinem „Im Westen nichts“ wenig Beachtung geschenkt. Für einen Independent-Verlag, der froh sein kann, wenn Buchhandlungen ihn auslegen, gibt es nichts Verkaufsschädigenderes, als wenn ein Buch unbekannt bleibt. Sprich: Niemand weiß, dass es dieses Buch gibt. Oder nur eine Handvoll Insider.
Deswegen versuche ich, wo es nur geht, noch einmal auf „Im Westen nichts“ zu sprechen zu kommen. Ein Roman von einem Autor, den ich sehr schätze, also beuge ich mich weit aus dem Fenster und reihe mich ein: „Ein unglaubliches Talent! „Der wird seinen Weg gehen!“ oder „Müssen Sie lesen!“ Ich garantiere: Es lohnt sich.

Verschenken Sie ihn! Kaufen Sie ihn! Und, was man als Verleger gar nicht sagen sollte: Leihen Sie ihn sich zur Not auch aus – aber lesen Sie Ihn! Denn: Dieser Autor vermag Geschichten zu erzählen – dass es einem den Boden unter den Füßen weg zieht …

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