Die Krimibestenliste wartet ja immer wieder im erstaunlichen Überraschungen auf. Diesmal: Der Roman „Aus der Balance“ von Megan Abbott (übersetzt von Karen Gerwig und Angelika Müller, Pulp Master, Euro 16,–), der gleich von Null auf Eins gesprungen ist – ein „Krimi“ (im weiteren Sinn), der komplett in einer Ballettschule angesiedelt ist, in der die gut und vor allem lang eingespielten Strukturen nach einem Brand und diversen explosiven Beziehungsdynamiken so unter Spannung geraten, dass es – knallt? Na ja, zumindest könnte es knallen, bis dahin aber jede Menge Schlüssellochperspektive in ein ganz eigenes Milieu und eine erstaunliche Geschichte für alle die, die sich für so ein Setting interessieren.
Auf Rang Sieben in diesem Monat findet sich mit „Fern vom Licht des Himmels“ (übersetzt von Jakob Schmidt, Golkonda, Euro 20,–) noch ein ausgesprochen ungewöhnlicher Krimi, der neue Roman von Tade Thompson, eine Mischung aus Krimi und Science Fiction. Und eine Story mit einer ziemlich sensationellen Idee: In der fernen Zukunft hat die Menschheit den Weltraum besiedelt, die Siedler müssen sehr lange Wege auf sich nehmen, um ihre Ziele zu erreichen. Konkret in diesem Fall: 10 Jahre tiefgekühlter Schlaf. Irgendwo unterwegs, wird allerdings die junge Kapitänin Shell geweckt – und entdeckt ein Massaker: Irgendwer oder irgendwas hat mehrere der schlummernden Passagiere umgebracht. Wie kann das sein? Was mag da wohl passiert sein? Das ist dann die Story dieses sehr unterhaltsamen Romans. Stichwort Locked-room mystery: Klasse Idee, weil Tade Thompson, britisch-nigerarischer Schriftsteller, das Krimi-Klassiker-Motiv des Geheimnis des geschlossenen Raumes auf seine ganz eigene und mehr als gegenwärtige Weise umsetzt.
Die Besten müssen ja nicht immer die Ersten sein. Gilt fürs Leben, gilt immer wieder auch für die Krimibestenliste. Gemeint ist damit die Nummer Vier in diesem Monat – der Roman „Pleasentville“ (übersetzt von Andrea Stumpf, Polar Verlag, Euro 26,–) von Attica Locke. Eine Geschichte, die in die 1990er Jahre in Houston führt: Erstmals könnte ein Schwarzer Bürgermeister der Stadt werden, der Wahlkampf ist hart und unerbittlich. Auch deshalb, weil im afroamerikanisch geprägten Viertel Pleasentville eine junge (Schwarze) Frau zunächst verschwindet, dann tot aufgefunden wird. Diese „Krimiebene“ treibt die Geschichte an, und sie ist eng verwurzelt mit alldem, was man als politisches Geschehen bezeichnen kann – zumal bald einer der (Schwarzen) Wahlkampfmanager unter Mordverdacht gerät. Zu Unrecht, vermutlich, aber was hat das in so einer aufgeladenen, aufgeheizten politischen Atmosphäre schon zu sagen? – Attica Locke, selbst Afroamerikanerin, ist eine der besten und interessantesten Gegenwartsautorinnen der Vereinigten Staaten; ihr neuer Roman ist bestechend komponiert und erzählt: Kriminalroman, politisches Sittenbild, Justizthriller, Gesellschaftsanalyse. Und: Spannend bis zum Gehtkaummehr.
Nebenbei bemerkt: Drei ungewöhnliche, hoch interessante Romane, bei denen wir es kleinen und Kleinstverlagen zu danken haben, dass sie überhaupt ins Deutsche übersetzt wurden. Da kann man nur sagen: Besten Dank dafür, tolle Arbeit, bitte weiter so, das ist uns Lesenden doch ein großes Vergnügen …
2 Kommentare
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Na ja, zumindest könnte es knallen, bis dahin aber jede Menge Schlüssellochperspektive in ein ganz eigenes Milieu und eine erstaunliche Geschichte für alle die, die sich für so ein Setting interessieren.