Da staunt das Volk und eilt herbei und jubiliert: Ein neuer Roman von Frank Schätzing ist raus – und direkt nach Erscheinen an die Spitze der „Spiegel“-Bestsellerliste gesprungen. „Die Tyrannei des Schmetterlings“ (Kiepenheuer & Witsch, Euro 26), eine Mischung aus Polizeiroman, Thriller und Science Fiction; Thema: Künstliche Intelligenz. Luther Opoku, kalifornischer Provinzsheriff, muss sich samt seiner Deputy Ruth Underwood mit einem tödlichen Verkehrsunfall herum schlagen, bei dem es einige Ungereimtheiten gibt. Die Spuren führen zu einem Sicherheitsdienst, der ein mysteriöses Areal bewacht, in dessen Tiefen ein Silicon Valley-Digitalunternehmer namens Nordvisk in unterirdischer Abgeschiedenheit eine Künstliche Intelligenz zur Super-KI reifen lässt. Beziehungsweise: hat lassen. Denn die KI hat bereits geliefert – die Bauanleitung für eine Art Gate, über das man in eine der unendlich vielen (denkbaren) Parallelrealitäten teleportiert wird, die es im Universum so gibt. Geben könnte. Ist zwar nicht mehr ihr Zuständigkeitsbereich, aber der Handlungsraum von Ruth und Luther ändert sich dadurch fundamental, dass Luther sich erstmal weg teleportiert, als er einen der Bösen verfolgt – und wer fragt schon nach Zuständigkeiten, wenn es darum geht, die Welt zu retten? Oder eher – die Welten? Wie auch immer, „Die Tyrannei des Schmetterlings“ bietet alles, was man von Frank Schätzing kennt und (nicht) schätzt: Eine spektakuläre Story, jede Menge Knalleffekte, ein Touch von Wissenschaftlichkeit, Action satt, coole bis dämliche Sprüche – und viel zu viele viele viele Worte, insbesondere bei den unendlichen Naturbeschreibungen, mit denen das Buch zu glänzen sucht. Auch das ist ja irgendwie typisch Schätzing: drei-, vierhundert Seiten weniger, dann wäre schon eher was richtig Gutes draus geworden. Oder so. Aber Masse – mega! – gehört zum Spektakel halt auch dazu. Wie auch immer, keine Literatur jedenfalls, die die Stilisten im Feuilleton erreichen will, weshalb der häufig zu lesende Vorwurf, der Roman sei sprachlich schwach, zwar durchaus nicht komplett unzutreffend ist, aber satt ins Leere läuft. Zirkus, Jahrmarkt und eben Spektakel, das ist es, worum es hier geht – Schätzing halt. Und, tja – warum denn nicht?! Funky Franky haut in die Vollen. Und wo gehobelt wird, fallen halt auch Späne, sei´s drum. Interessant übrigens, last not least, die Luther-Ruth-Beziehung, die letztlich das ganze Mammutwerk mit all seinem Digital-SciFi-KI-Mummenschanz trägt und transportiert – das erinnert doch sehr (also: SEHR) an die Grundkonstellation der Hackberry Holland-Romane von James Lee Burke. „Regengötter“ (Heyne Hardcore, Euro 16.99) zum Beispiel. Den sollte jeder gelesen haben, der das Vergnügen noch nicht hatte – große, perfekte Unterhaltung, samt grandioser Landschaftsbeschreibungen übrigens.
Wer´s lieber ruhiger mag, genauer gesagt: VIEL ruhiger – der sollte sich auf keinen Fall den tollen neuen Roman von Celeste Ng entgehen lassen, ihren zweiten: „Kleine Feuer überall“ (dtv, Euro 22, übersetzt von Brigitte Jakobeit). In Shaker Heights, einem komplett durchregulierten Braveleutevorort von Cleveland, brennt das Haus der Richardsons; Izzy, jüngste Tochter von vier Kindern, hat es angezündet, ist dann abgehauen, wohl auf Nimmerwiedersehen. Was ist passiert? Wie konnte es dazu kommen? Das sind die Fragen, der diese Geschichte nachspürt – ebenso wie der, was die Künsterlin Mia Warren samt ihrer Tochter Pearl mit dem allen zu tun haben könnte. Die beiden sind Nomaden, ziehen seit Jahren von Stadt zu Stadt, wollten in Shaker Heights endlich mal heimisch werden, lebten zur Untermiete in einer Wohnung der Richardsons ein paar Straßen weiter, zogen aber wieder von dannen, und zwar unmittelbar vor dem Brand… – Hier die durch formatierten Vorstadtspießer, dort die unangepasst Entwurzelten, dann die Entwicklungen zwischen ihnen – klar, eine klassische Konstellation, Celeste Ng erfindet das Rad nicht neu mit ihrer Dramaturgie. Wie sie dieselbe umsetzt, das ist allerdings ganz großartig: Sehr genau und sorgsam konturierte Charaktere, zwischen denen sich wie selbstverständlich ganz unerwartete Dynamiken ergeben – und die Brandbeschleuniger, die Geheimnisse also, die letztlich hinter allem verborgen sind, die haben es wirklich in sich. „Kleine Feuer überall“ ist ein Familienroman mit Untiefen, deren Strömungen unberechenbar sind. Und nebenbei: Gewürzt mit einem besten Schulstreiche, von denen ich je gehört habe, zum Kringeln. Izzy war dafür verantwortlich, klar. Izzy – sie ist sowieso die Beste.
Zuletzt schnell noch der Überraschungsbestseller des Monats – „Hochdeutschland“ von Alexander Schimmelbusch, Abgesang auf unsere Wohlstandsgesellschaft am (gefühlten) Rande des Untergangs. Alexander Schimmelbusch, der selbst ein paar Jahre in dem Metier tätig war, erzählt von Victor, einem Investmentbanker, der seiner Selbst, seines Jobs und eben der satt stillstehenden Reichencommunity um sich herum irgendwann so überdrüssig ist, dass er ausnahmsweise mal nicht ein Projekt pitcht, das Anlegern oder Steuerzahlern das Geld aus der Tasche zieht, sondern das Programm einer populistischen Bewegung – das er zusammen mit seinem alten Kumpel Ali Osman, der lange bei den Grünen war, dann auch tatsächlich in die Realität übertragen kann. Inklusive konstruktiv-humaner Lösung des Migrationsproblems übrigens, denn mit den „Playmobil-Nazis“ von Rechtsaußen will man sich natürlich nicht gemein machen… – Wie gesagt, „Hochdeutschland“ ist ein Abgesang, und zwar einer der fiesen, bösen, rabenschwarzen Art. Dieses Buch ist gemein, so gemein – hundsgemein. Anders formuliert: Eine gewitzte und phasenweise ziemlich witzige Geschichte, die der Deutschland AG den Zerrspiegel vorhält. Oder vielleicht sogar eine Prognose, das, was uns erwarten wird? Die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland? Ja, müsste man vielleicht mal pitchen…