Whistler, am gleichnamigen Mountain, kennen eigentlich bloß Skifahrer, Bergsteiger, Moutainbiker. Und natürlich Olympiafans, 2010 wurden hier einige Wettkämpfe der Olympischen Spiele von Vancouver ausgetragen. Auf der Krimilandkarte war Whistler bislang ein blinder Fleck – bislang: „Shootout“, der erste Roman des Kanadiers Dietrich Kalteis, der ins Deutsche übersetzt wurde, ändert das nämlich auf so unterhaltsame wie amüsante Weise. Die Story: Ein paar nette Kiffer stellen in Whistler das beste Gras der Gegend her, zwei der etablierten Gangs aus Vancouver wollen das Geschäft übernehmen, mit allen Mitteln, beißen dabei aber auf verschiedenste Weisen spektakulär auf Granit. Dazwischen: Ein hinreißendes Chaos von einem Plot, wunderbare Charaktere, viel Situationskomik, witzige Dialoge und sogar eine Liebesgeschichte. Klar, blutig ist es auch – aber das trifft, vorwiegend zumindest, bloß die, die es auch verdient haben. Klasse, eine pointenstarke Entdeckung, zum Glucksen! Und die Frage, was der Autor genommen hat beim Plotten seines Romans – ach, lassen wir das… (Übersetzt von Susanna Mende. Suhrkamp, Euro 9,95)
In die Stadt – oder auf´s Land? Das ist von jeher eine Grundsatzfrage der Kriminalliteratur; häufig verbunden mit der, ob´s eher gemütlich sein darf oder gerade nicht. Ganz und gar nicht gemütlich und so urban wie möglich geht’s in einem tollen Krimi-Projekt zu, das der New Yorker Akashic Verlag mit seiner „Noir Series“ etabliert hat: Krimi-Kurzgeschichten ausgewählter Metropolenbewohner, die in der Regel genau in der Stadt angesiedelt sind, in der ihre AutorInnen leben. Dutzende Varianten sind bereits erschienen, mit Blick auf die ganze Welt, angesiedelt nicht bloß in den USA. Der Berliner Culturbooks Verlag übernimmt Teile des Projekts und bringt sie auf den deutschen Markt, nach „Paris Noir“ erschien vor kurzem „Berlin Noir“: 13 Geschichten aus 13 Stadtvierteln, die 13 unterschiedliche Blickwinkel präsentieren sollen, so verkauft es der Verlag – durchaus zutreffend. Die Berliner AutorInnen, so scheint es, legen großen Wert auf Milieustudien, insofern könnte man auch sagen: 13 unterschiedliche Milieus, die genau durchleuchtet werden. Eine starke und interessante Auswahl, mit dabei auch zwei, drei, vier wirklich exzellente Geschichten, und insgesamt bietet das Kompendium einen spannenden Überblick über die Berliner Krimi-“Szene“, eine gute Mischung aus etablierten AutorInnen und interessanten Newcomern. Interessant ist der Vergleich mit „Paris Noir“, da merkt man schon, dass diese spezielle Art des Noir, die Realität zu spiegeln, in Frankreich eine ganz andere Tradition hat und viel etablierter ist als hierzulande; Paris ist schärfer und ungemütlicher, so könnte man es auch formulieren; aber es wächst was beim Noir aus Deutschland, auch das ist deutlich spürbar. Merkwürdig übrigens: Die Storys aus „Paris Noir“ wurden offensichtlich aus dem Englischen übersetzt, nicht aus dem Französischen; man fragt sich natürlich, wie stark ihnen das an Originalität und Kontur nimmt, wie sehr sie dadurch glatter geschliffen wurden. Auch hier jedenfalls: Starke Themen, tolle Mischung an AutorInnen, mit dabei viele alte Bekannte, deren Werke leider viel zu selten ihren Weg nach Deutschland finden. Doppelte Empfehlung also – perfekte Lektüre für Zwischendurch oder für den Urlaub. Und wenn ich einen Wunsch frei hätte: Hoffentlich verkaufen diese urbanen „Noir“-Anthologien so gut, dass Culturbooks in Zukunft noch möglichst viele weitere Ausgaben von Akashic übernimmt.
Noch ein besonderes Projekt: „The President Is Missing“ (Droemer, 22,90 Euro), eine Kollaboration von Ex-US-Präsident Bill Clinton mit dem Krimi-Fabrikanten James Patterson (Gesamtauflage Patterson: um die 400 Millionen). Ein White-House-Politthriller mit einem Touch von „House of Cards“: Der Präsident, der öffentlich unter Beschuss steht und deshalb Präsenz zeigen sollte, muss verschwinden, weil ein Cyberangriff ungekannten Ausmaßes droht; er muss über sich hinaus wachsen und, wer hätte es gedacht, zum großen Helden werden, will er, zusammen mit einem derangierten Hacker aus Europa, das Land vor der Katastrophe zu bewahren, was, ebenfalls wenig überraschend, natürlich erst in letzter Sekunde gelingt. Bei Bill Clinton, der zwei Amtszeiten lang im Weißen Haus residiert hat, erwartet man natürlich jede Menge Insider, insbesondere auch zur aktuellen Politik unter Donald Trump – aber Fehlanzeige, das wird nicht geliefert. Eine nachvollziehbare Entscheidung, denn wie will man das, was die tatsächliche Politik aus Washington zu erzählen hat, noch irgendwie fiktional zuspitzen? Das Problem: Wie füllt man diese Lücke, wohin entwickelt man das Ganze stattdessen? Clinton und Patterson präsentieren eine Art Präsidenten-Gegenmodell, verbunden mit Appellen, das politische System wieder vom Kopf auf die Beine zu stellen und zum Anstand zurückzukehren. Ein staatstragende Politthriller also, letztlich. Ja, klar, kann man machen; muss man vielleicht sogar, zumindest als Expräsident, in diesen Zeiten. Ist aber, ehrlich gesagt, nun nicht sonderlich originell. Trotzdem: Okaye Unterhaltung, das Ganze.
Wer doch lieber einen richtig, richtig guten Kriminalroman lesen will, der sei zuletzt noch an die aktuelle Nummer 1 der Krimibestenliste verwiesen – „Blut, Salz, Wasser“ von Denise Mina (Argument Verlag, 19 Euro). Ein großartiger Roman, die schottische Autorin liefert mit das Beste, was man in Sachen Krimi derzeit bekommen kann – mehr dazu bei Gelegenheit an dieser Stelle…