Zwei Hörspiele und ein Hörbuch: „Dienstbare Geister“ von Paul Plamper, Gewinner des Deutschen Hörbuchpreises 2018, in der Kategorie „Hörspiel“. Die akustische Version von Juli Zehs aktuellem Roman „Leere Herzen“. Und „Die Ermordung des Commendatore“, die Hörbuch-Variante des aktuellen Romans von Haruki Murakami.
Paul Plamper: Dienstbare Geister
Armutsflüchtlinge, eines der zentralen Stichworte der Migrationsdebatte, ein ganz besonders umstrittenes Thema. Wie ist das rechtlich zu bewerten, wie moralisch, wenn sich jemand auf den Weg nach Europa gemacht hat, weil er keine Perspektive sieht – nicht allein aus politischen Gründen? Oder ist das schon politisch? Und wie steht es um die Verantwortung „des Westens“ für die Lebensbedingungen im Herkunftsland? Wenn es diese Verantwortung gibt – was leitet sich daraus moralisch ab in Sachen Einwanderung, was rechtlich?
Alles ziemlich komplex und abstrakt – „Dienstbare Geister“, das Hörspielprojekt von Paul Plamper bietet sich an, wenn man dies Thema etwas konkreter betrachten will, am Beispiel Kamerun: Das Stück erzählt zwei „Armutsmigrationsgeschichten“; die einer jungen Deutschen, die 1905 in der Kolonie eine neue Perspektive zu finden hofft und die eines jungen Kameruners, der in der Gegenwart sein Glück in Deutschland versucht. Die beiden Stränge, die auf historischen Dokumenten und aktuellen Interviews beruhen, werden strikt parallel montiert – trotzdem oder auch gerade deswegen entfalten sich im Hirn des Hörers sehr eindrucksvoll bald die Zusammenhänge, die zwischen den beiden Biographien möglicherweise strukturell bestehen.
Am 6. März bekommt Paul Plamper den Deutschen Hörbuchpreis für sein Stück, verdientermaßen; ab dem 7.3. wird das Hörspiel online beim WDR verfügbar sein. (Wer lieber eine CD für 16 Euro bestellen möchte, der wird bei Plampers „Hörspielpark“ fündig.)
Juli Zeh: Leere Herzen
Darauf muss man erstmal kommen: „Die Brücke“, so heißt das Startup, das Britta Söldner, Heilpraktikerin, und Babak Hamwi, Digitalfreak, auf Basis eines Algorithmus gegründet haben, den sie gemeinsam erfunden und entwickelt haben: Mit Hilfe ihres Programms identifizieren die beiden potentielle Selbstmörder, die sie in einem 12stufigen Prozess zu therapieren versuchen – wer bis dahin bei seinem Todeswunsch bleibt, der wird an eine Organisation vermittelt, die mit Selbstmördern operiert, radikale Naturschützer zum Beispiel oder das, was vom IS noch übrig ist. Ein lukratives Geschäftsmodell – das allerdings ins Wanken gerät, als eines Tages Konkurrenten aufzutauchen scheinen.
Angesiedelt, auch das spannend, ist der Roman in einer nicht ganz unmittelbaren Zukunft, in der die Populisten von der Besorgte-Bürger-Bewegung BBB in Deutschland regieren – und mit ausgeprägter Sekundärtugend entdemokratisieren…
„Leere Herzen“ ist, wie von Juli Zeh gewohnt, ein visionärer, radikal gesellschaftskritischer Roman; eine dystopische Spiegelung der Gegenwart voller gewitzter Ideen – deren sprachliche Umsetzung allerdings leider nicht immer mithalten kann, zu oft verpufft die Erzählung in plakativer Phrasendrescherei. Gut also, dass es neben dem Hörbuch, das schon gekürzt ist, auch die Hörspiel-Variante gibt, die der MDR produziert hat; eine Mischung aus Erzählersequenzen und Spielszenen; kühl und konzentriert auf den Punkt inszeniert. (der Hörverlag, Euro 19,99)
Haruki Murakami: Die Ermordung des Commendatore
Wer versteht schon Haruki Murakami? Egal, denn bei wenigen Schriftstellern macht es so viel Spaß, nicht genau zu wissen, wie viel vom Ganzen man denn nun verstanden hat – und wie viel nicht. Genau genommen ist das Nicht-Verstehen bei der Lektüre des japanischen Bestsellerlieferanten möglicherweise sogar unabdingbar, weil das Lesen (und Hören) von Murakami-Texten letztlich mehr ein meditativer Prozess ist als ein rationaler; entsprechend entfalten sich ganze Dimensionen dessen, was man da verstehen könnte, erst nach und nach, nebenbei im Alltag, beim nächtlichen Aufwachen, wie auch immer. Dann jedenfalls, wenn das Hirn nicht gerade auf „rationalen“ Hochtouren läuft, sondern andere Denkwege, Seitenzugänge zulässt. Oder so. All das kann einem auch bei anderen Autoren passieren, klar – aber kaum so intensiv wie bei Murakami, so ist das bei mir zumindest.
„Die Ermordung des Commendatore. I. Eine Idee erscheint“ – Murakamis neuer Roman ist eine Zumutung, schon was den Titel angeht. Aber auch wegen der Spannungsbögen, die da aufgezogen – und zum Ende des Romans (noch) nicht eingelöst werden, ist ja, wie der Titel schon kundtut, nur ein erster Teil.
Spannungsbogen 1: Der Prolog; ein Maler soll einen geisterhaften Mann ohne Gesicht portraitieren, naturgemäß eine schwer lösbare Aufgabe. Aber darum geht’s, ein Künstlerroman, mit speziellem Blick auf die Kunst des Portraitierens, das wird durchdekliniert bis ins Kleinste. Spannungsbogen 2: Der Künstler, um den sich alles dreht, wird anfangs von seiner Frau verlassen – woraufhin er eine lange, desorientierte Reise unternimmt und schließlich in einem einsamen Haus in den Bergen landet, wo es dann eben um verschiedene Fragen des Portraitierens geht. Und um anderes mehr. All das, schön und gut. Aber: Ganz nebenbei deutet Murakami an, dass die beiden nach 9 Monaten wieder zusammenkommen werden – und nichts, aber auch gar nichts davon wird bis zum Ende von Band 1 aufgelöst, eher im Gegenteil. Unverschämtheit – einen mit so einer unvollendet auserzählten Liebesgeschichte bis zum nächsten Band schmoren zu lassen (der im Frühjahr erscheinen wird).
Wie auch immer: Trotz kleiner erzählerischer Schwächen, zahlreicher Redundanzen etwa, ein starker Roman, der aus dem Nichts ganze Welten zaubert, typisch Murakami – und das Hörbuch, blendend interpretiert von David Nathan, kann man ebenfalls wärmstens empfehlen, für alle meditativ orientierten HörerInnen zumindest. (Hörbuch Hamburg, Euro 17,95)