In ihrem Roman „Heaven“ durchleuchtet die japanische Schriftstellerin Mieko Kawakami die Abgründe des Mobbings mit – fast – unerbittlicher Konsequenz.
„Wir gehören zur selben Sorte“, so heißt es auf einem Zettel, den der namenlose Erzähler am Anfang von „Heaven“ in seinen Schulsachen findet. In Druckbuchstaben, nicht identifizierbar. Zur selben Sorte? Das kann eigentlich nur eines bedeuten: Da ist noch jemand, der oder die von den anderen zum Opfer gemacht wird. Denn dies ist, was alles andere im Leben des Erzählers überdeckt: Er ist der, den sie mobben, mit allen Mitteln, an jedem Tag, ohne jegliche Gnade.
Natürlich, das hätte er sich denken können: Hitomi, das ungepflegte Mädchen, ist diejenige, die den Zettel geschrieben hat. Einige Briefchen später treffen die beiden sich heimlich, davon darf bloß niemand erfahren. Auch sie wird gemobbt, wenngleich weniger drastisch. Von den Mädchen vor allem.
Zwei „Opfer“, die sich zusammen tun. Für Momente zumindest. Denn wie sie sich tatsächlich helfen könnten, wie sie eine richtige Freundschaft führen könnten, davon haben die beiden keinen Begriff und keine Idee. Sie sind völlig hilflos. Aber auf verschiedene Weise resilient. Ergeben in ihr Schicksal und ihrem Schicksal ausgeliefert.
Immerhin: Wenn zwei dieser Art aufeinander treffen, gibt es wenigstens ein kleines Miteinander – eine Zwangsgemeinschaft ohne Risiko, das ist besser als Nichts. Und mehr Bindung ist wohl sowieso nicht möglich, wenn die Angst das Leben einen permanenten Alarmzustand versetzt. Der Preis der Resilienz. Ohne, dass sich dies irgendjemandem mitteilen ließe, außer dem oder der derselben Sorte. Die wissen auch ohne Worte, was Sache ist.
Mieko Kawakami durchmisst diese Angstgegenden und Alarmzustände in einem Bündel von Erlebnissen und Episoden, dabei bleibt sie konsequent dicht dran an ihren Protagonistinnen, insbesondere natürlich beim Erzähler. Das ist heftig und teils grausam; Mobbing in Details, die mitunter schon Züge von Folter tragen.
Zugleich bleibt der Erzählton irritierend sachlich und distanziert, auch dies in aller Konsequenz: Diese Gleichgültigkeit ist Zeichen dieser Ergebenheit, die schützt, zugleich aber verunmöglicht, dass es etwas anderes gäbe, was relevant wäre – das Leben wird später stattfinden, nach dem Mobbing, man muss bis dahin nur überleben.
Zwei 14jährige ProtagonistInnen, das Thema Mobbing in der Schule – trotzdem ist „Heaven“ kein Jugendroman. Mieko Kawakami hat keine Lösungsvorschläge und kaum Erklärungen, sie konzentriert sich weitgehend auf das Phänomen. „Die“ Gesellschaft spielt dabei nur in zwei, drei Szenen sehr im Hintergrund eine Rolle, das setzt ihre Relevanz allerdings um so wuchtiger in Szene: Brüchige soziale Strukturen, derangierte familiäre Verhältnisse, eine allumfassende Beziehungs- und Wortlosigkeit. Gemobbt werden die, die schon vorher allein waren, sie sind von ein- und derselben Sorte. Da hat dieser radikale kleine Roman aus Japan eine universelle Dimension.
(Mieko Kawakami: Heaven. Dumont Verlag, 2021. 190 Seiten. ISBN 9783832183745, Euro 22,–)