Bestsellercheck März 2017

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Bestsellercheck März 2017

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Keine erhöhte Gefahr für eine depressive Verstimmung verursacht derzeit – nach langer Zeit mal wieder – der Blick auf die Bestsellerlisten: Erstaunlich viele gute Bücher finden sich derzeit in den diversen Charts. Ganz oben thront – zurecht – Martin Suter auf Platz 1 der Hardcover-Liste mit seinem verschmitzt-hintersinnigen Unterhaltungsroman “Elefant”, gefolgt von einer halben Mannschaft US-amerikanischer Erfolgsautoren mit Anspruch und Tendenz zur Schwarte, allen voran Paul Auster mit seinem 1264-Seiten-Opus-Magnum “4 3 2 1”. Hm, tja, okay – man beneidet alle, die Zeit haben, sich dieses Buch nicht bloß zu kaufen, sondern es auch in aller Ruhe zu lesen.

“Das Buch der Spiegel”

Apropos Paul Auster: E.O. Chirovici erinnert mit seinem Roman “Das Buch der Spiegel” (Goldmann, 20 Euro) in mancherlei Hinsicht an Auster, den frühen Auster, als der noch auf schlankere Geschichten setzte. Die Konstruktion, die Figuren, das Schicksalhafte der Begegnungen, der Blick auf’s Mysteriöse im Alltag etcpp. E.O. Chirovici stammt aus Rumänien, wo er schon lange ein renommierter Autor ist, lebt aber seit ein paar Jahren in England, hat sich irgendwann getraut, einen ersten Roman direkt auf Englisch zu schreiben – und wird damit jetzt zum Weltstar, “Das Buch der Spiegel” hat sich auf Anhieb in 38 Länder verkauft.

In dem Roman geht’s um ein bloß teilweise erhaltenes Romanmanuskript, das von tatsächlichen Begebenheiten zu erzählen scheint und dabei einen Mord aufzuklären verspricht; ein Literaturagent, ein Journalist und ein alter Bulle machen sich auf die Suche nach der Wahrheit hinter der Geschichte. Und diese Geschichte in der Geschichte hat es ebenso in sich wie die Geschichte an sich, geschickt geplottet, gut konstruiert, schlüssig erzählt. Chirovici ist ein Autor, der seine Leser intelligent zu packen weiß. So sehr, dass man irgendwann sogar die sprachlichen Schnitzer und all die Klischees fast vergessen hat, die einen eingangs erstmals schon etwas genervt haben.

Interessant ist die Frage, was genau einen da so gepackt hat: Im letzten Drittel erhält “Das Buch der Spiegel” zwar mehr und mehr auch Züge eines Kriminalromans, die Auflösung des Falls spielt aber bloß eine Nebenrolle, im Vordergrund stehen Werdegänge und Entwicklungen, die Frage, wie und warum man der wurde, der man geworden ist. Wann ist eine Geschichte, in der auch ein Verbrechen samt Aufklärung eine Rolle spielt, ein Krimi und wann nicht? Kann exakt kann man das “objektiv” nicht ermessen, letztlich muss das jeder Leser persönlich für sich allein entscheiden. Ich würde sagen: “Das Buch der Spiegel” ist ein Roman mit Spannungselementen, klar, aber eher kein Krimi – und auf keinen Fall ein “Thriller”, wie es auch hier und da behauptet wird.

“Milchschaumschläger”

Was anderes, raus aus der großen weiten Welt, rein in die gemütliche Provinz, gen Westen, ins Rheinland, nach Köln, in den betulichen Stadtteil Sülz: Von dort erzählt “Milchschaumschläger” (Kiepenheuer & Witsch, 14,99 Euro), das neue Buch von Moritz Netenjakob.

Moritz Netenjakob? Ihn kann man als Comedian oder Kabarettisten kennen, vor allem aber für seinen Mega-Erfolg “Macho Man”, der 2010 erschien und einer der Vorreiter war für eine ganze (Erfolgs-)Welle von Comdeyromanen auf dem deutschen Buchmarkt. Die meisten davon eher ermüdend und ebenso arm an Substanz wie an wirklichen witzigen Pointen, Ausnahmen bestätigen die Regel. Die wenigsten Comedians oder TV-Pointen-Lieferanten schaffen es, ihren “Witz” in den Bereich der Literatur zu übersetzen; ein Roman von 250 Seiten ist halt auch was anderes als ein Sketch oder eine Show vor Publikum; da herrschen ganz andere Gesetzmäßigkeiten für guten Humor, es braucht ein anderes Timing, eine andere Dramaturgie – und wahrscheinlich letztlich auch ganz andere Pointen.

Moritz Netenjakob wusste jedenfalls nichts Besseres zu tun mit seinem Geld als ein Café zu eröffnen, das, klar, “Macho Café” im betulichen Stadtteil Sülz. Den einen oder anderen wird es nicht wundern, dass er scheiterte, zu wünschen war es ihm nicht, erfreulich ist es letztlich trotzdem, und zwar aus einem Grund: Das Entstehen von “Milchschaumschläger”, eben der neue Roman, der genau diese Geschichte erzählt. Also die eines Mannes, der beschließt ein Café zu eröffnen – und damit grandios scheitert.

Der Mann, das ist Daniel, Netenjakobs Alter Ego schon in seinen ersten beiden Romanen – und damit ist auch das eigentliche Thema seiner Romane, der stets sprudelnde Quell für Witze und Kalauer aller Art, mit im Spiel: Daniels türkische Familie, die’s sozusagen kostenlos mit dazu gab, als er (in “Macho Man”) seinen großen Schwarm Aylin eroberte. Zum Beispiel Cousine Sibel, die aus der Türkei eingeflogen wird, weil man in so einem Bistro ja auch eine Kellnerin braucht: Auf der Flughafentoilette verwandelt sie sich aus einer unauffälligen Kopftuchträgerin in eine spektakuläre Sexbombe, was zwar gut für’s Geschäft ist, am Eröffnungstag aber etwas problematisch wird, als sich zur Feier desselben ihr Vater, der strikt religiöse Onkel ankündigt…

“Milchschaumschläger” ist also nicht nur die Geschichte des Scheiterns einer Café-Idee, sondern auch die Fortsetzung von Netenjakobs humoresker Aufarbeitung des deutsch-türkischen Miteinanders, und es ist erstaunlich, wie “anders” sich das plötzlich angesichts der momentanen politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen im Vergleich zu den Vorgängerromanen liest: Hier wird eine deutsch-türkische, türkisch-deutsche Normalität beschrieben und bewitzelt, die in der Hysterie der aktuellen Debatten in Vergessenheit zu geraten droht – und die man eben deswegen bewitzeln kann, weil es sich um eine Normalität, also um etwas ganz Selbstverständliches handelt. Insofern: Comedy-Romane kann man mögen oder nicht, auch das ist eine ganz persönliche Entscheidung, der hier kommt jedenfalls genau zur richtigen Zeit.

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