“Die Hauptstadt” – Deutscher Buchpreis für Robert Menasse
Wie zu erwarten war: Robert Menasse, der österreichische Schriftsteller, hat den deutschen Buchpreis gewonnen – ausgezeichnet wurde er für seinen Roman „Die Hauptstadt“, der „die EU“ zum Thema hat, in allen möglichen Facetten, Sichtweisen, Variationen – und Absurditäten. Der Roman zur Europäischen Union, sozusagen, der sie in all ihren Untiefen auslotet, den man trotzdem aber auch als Hommage an diese große Idee Europa verstehen darf. Robert Menasse ist ein engagierter Pro-Europäer, zugleich jedoch auch Kritiker des EU-Bürokratismus – er erzählt mit versierten literarischen Mitteln und mit viel Phantasie eine Art Hintergrundgeschichte zum europäischen Zusammenwachsen, die die Finger in Wunden legt, trotzdem aber auch die Vision hoch hält, irgendwie – und, wenn man so will, der Bürokratie die Poesie entgegen setzt.
Sabri Louatah: Die Wilden (Heyne Encore, 18 Euro)
Frankreich ist Gastland der Buchmesse – eines der interessantesten Romanprojekte, die im Zuge dessen nach Deutschland kommen, ist franko-algerisch, nämlich der Roman „Die Wilden. Eine französische Hochzeit“ von Sabri Louatah.
Die Story: In Saint-Etienne findet am Vorabend der Präsidentenstichwahl die Hochzeit eines der Söhne einer algerischen Großfamilie statt. Der Autor führt uns mitten hinein in das Chaos dieses Fests, mit vielen spannenden, teils recht schrägen, immer authentisch gezeichneten Charakteren und Anekdoten. Mit dabei auch Krim, einer aus der ganz jungen Generation, und er fährt, ohne so recht zu wissen, was er tut, am nächsten Tag nach Paris, um ein Attentat auf den muslimischen Präsidentschaftskandidaten zu verüben, der bis dahin beste Chancen hatte, die Wahl zu gewinnen. Krim wird verhaftet – und einer seiner Onkel, Nazir, wird anschließend als „Staatsfeind Nr. 1“ gesucht. Die Frage ist allerdings, ob wirklich Nazir hinter dem Attentat steckt – oder möglicherweise ganz andere sinistre Kräfte…
Eine Mischung aus Familienroman und Politthriller also – und eine Geschichte übers politisch brodelnde Frankreich in diesen Zeiten, aus franko-algerischer Sicht sozusagen. Sabri Louatah ist Mitte 30, geboren 1984 in Saint-Etienne, dort auch aufgewachsen, in einer algerisch-stämmigen Großfamilie, Vater Holzfäller, Mutter Hausfrau – wie bei einer der Figuren seines Romans. Louatah wurde unter anderem durch die Vorstadt-Unruhen 2005 zu seiner Geschichte inspiriert; heute lebt er in den USA, wo er wohl mit etwas Abstand an einer Umsetzung seines Romans als Fernsehserie arbeitet. „Die Wilden“ ist der erste von drei Teilen, aus denen das Projekt besteht, das in Frankreich ein dicker Bestseller war und für Diskussionen sorgte.
Colson Whitehead: Underground Railroad (Hanser, 24 Euro)
Einer der besten Romane, die derzeit auf der Bestsellerliste stehen, ist „Underground Railroad“ von Colson Whitehead. Dieser Autor, geboren 1969 in New York, wo er auch lebt, gilt als eines der interessantesten Erzähltalente der Vereinigten Staaten; er schreibt Essays, Artikel und Romane. Und zuletzt eben „Underground Railroad“, ein extrem beeindruckender Roman über die Zeit der Sklaverei in den USA, für den er vielfach ausgezeichnet wurde, unter anderem mit dem „National Book Award“ und dem „Pulitzer Prize“.
Colson Whitehead erzählt von Cora, einer Sklavin auf einer Baumwollplantage in Georgia, die sich von Caesar, einem anderen Sklaven, zur Flucht überreden lässt. Das war damals, Anfang des 19. Jahrhunderts, sehr gefährlich; wer erwischt wurde (auch von Kopfgeldjägern), wurde häufig gefoltert und hingerichtet. Der Roman verfolgt also Coras Weg, der auf erschütternde Weise abenteuerlich ist, mit wenigen Höhen und vielen Tiefen. Und nebenbei wird davon erzählt, wie unfaßbar brutal und grausam die Weißen mit den schwarzen Sklaven umgingen, die sie als mindere Lebewesen betrachteten, auf der Basis von zeitgenössischen Augenzeugen– und Erlebnisberichten.
Im Zentrum des Ganzen steht übrigens die „Underground Railroad“, ein System, mit dem Sklaven von Helfern, auch Weißen, unter Lebensgefahr in die freien Staaten geschafft wurden. Damit ist nicht eine unterirdische Eisenbahn gemeint, die (ehemalige) Sklaven gebaut haben könnten, wie das im Roman der Fall ist. Tatsächlich gab es Fluchtwege, Unterschlupfe, Geheimcodes – und all das wurde wohl mit Eisenbahnmetaphern betitelt.
Je mehr Cora gegen alle Hürden die Freiheit schnuppern kann, desto weiter entfernt dieselbe sich doch immer wieder – und um so dezidierter schildert Whitehead in seinem gnadenlos inszenierten Roman die Exzesse der weißen Herrschaft über die schwarzen Leibeigenen, was die Willkür und die Grausamkeit um so deutlicher macht. Auch für Cora gibt es übrigens ein reales Vorbild, Harriet Tubman, eine Frau, die immer wieder in die Sklavengebiete zurück ging und – unter schwierigsten Umständen – Dutzende befreite.