Was würde Shakespeare schreiben, wenn er im 21. Jahrhundert leben würde? Kriminalromane, möglicherweise. Wahrscheinlich. Zumindest bietet das Genre des Krimis die narrativen Räume, die es braucht, um so ein blutrünstiges Drama wie etwa den Macbeth zu platzieren. Und thematisch passt das auch; im Krimi wird ja nicht nur irgendwie irgendein Verbrechen nacherzählt, es werden vielmehr die großen Themen der Zeit verhandelt – im guten Krimi zumindest.
Es ist nun zwar nicht unbedingt davon auszugehen, dass Shakespeare, lebte er heute, wie der norwegische Kriminalschriftsteller Jo Nesbø schreiben würde, der in seinem jüngsten Roman den Macbeth als Krimi adaptiert hat. Aber interessant ist es schon, zumindest im Hinblick auf das Gedankenspiel, zu sehen, wie erstaunlich gut das funktioniert, was Jo Nesbø aus dem Klassiker macht:
Macbeth ist in dem Roman der Chef der Sondereinsatzkräfte der Polizei in einer kaputten, korrupten Metropole, die irgendwo im Norden liegt; zusammen mit seiner Geliebten Lady, der Chefin eines Spielcasinos, plant er die Machtübernahme, den Weg ins Bürgermeisteramt also, und diesem Plan ordnet er so grausam wie blutlüstern alle Freundschaften, alle Gesetze, alle Moral unter. Ein Weg des Schreckens, der zu Schreckensherrschaft führen wird – und die Frage ist letztlich ein Klassiker (nicht nur) der Unterhaltungskultur: Wird den angehenden Despoten samt seines Paktes mit dem Bösen wider Erwarten im letzten Moment irgendjemand noch stoppen können? Shakespeare-Kenner wissen mehr, möglicherweise zumindest.
Jo Nesbøs „Macbeth“ ist eine dystopische Schreckensvision, explosiv auf die Bühne gebracht in einer vergifteten, zerfallenden Metropole; eine Allegorie auf den Spätkapitalismus im Zeitalter der Populisten, die in ihrer plakativen Zuspitzung zum Teil fast comic-artige Züge trägt. All das kennt man aus Literatur und Film und Fernsehen; Nesbø schließt den Macbeth an die Gegenwartskultur an, allerdings mit besonders dunklem Drall, tiefschwarz poliert gewissermaßen.
Man kann diesen Roman „so“ lesen, ohne Shakespares Drama zu kennen oder im Kopf zu haben – ihn auf Bezüge und Verweise zum Original abzuklopfen, bereitet natürlich aber besonderes Vergnügen: Da gibt’s zwar auch einiges, was für etwas irritiertes Kopfschütteln sorgt bei der Lektüre; insgesamt ist überraschend Vieles erstaunlich plausibel – speziell, wenn man in Rechnung stellt, dass Jo Nesbø in seiner Variante VOLL aus dem Arsenal der Erzähltopoi der Genreliteratur des 20. Jahrhunderts schöpft.
(Penguin Verlag, 2018. 624 Seiten. ISBN 978-3328600176. Euro 24,–. Übersetzt von André Mumot.)