Deutschland, Anfang der 2030er Jahre. Radikale Nationalisten haben die Macht übernommen – und setzen um, was sie jahrelang gefordert haben: Die Gesellschaft wird gnadenlos gesäubert, insbesondere von Migranten. Das betrifft nicht nur Illegale, sondern auch Menschen mit einem deutschen Pass. Und das geht verdammt schnell – diejenigen, die nicht vorsichtig genug waren zu fliehen, etwa ins sichere Belgien, finden sich nach einer entsprechenden Gesetzesnovelle von Jetzt auf Gleich in einer Lebenssituation wieder, die sie allem beraubt, die kaum zu ertragen ist.
Die Frage ist: Wohin mit den ganzen Unerwünschten? In dem Szenario, das Max Annas sich für seinen neuen Roman „Finsterwalde“ ausgedacht hat, werden sie in geräumten, eingezäunten Kleinstädten kaserniert – zum Beispiel eben im brandenburgischen Finsterwalde, wohin man vor allem Menschen mit afrikanischen Wurzeln aus Berlin deportiert hat: Eine Stadt als Lager, vom Militär bewacht, mit Schießbefehl – und innen gibt es keinerlei Struktur, Lebensmittel werden von Hubschraubern abgeworfen.
Einige der Deportierten versuchen, im „neuen Finsterwalde“ so etwas wie eine Ordnung herzustellen. Schwierig, denn es gibt natürlich auch die, die an gemeinschaftlichen Lösungen nicht interessiert sind, eher im Gegenteil. Und bald wird es richtig kompliziert – als es im Lager die ersten Toten gibt. Ermordet. Wie soll man das klären und regeln, ohne Ordnung, ohne Polizei, dann, wenn nicht alle an einem Strang ziehen?
Als auch noch ein Pfarrer umgebracht wird, der in Berlin eine Gemeinde für afrikanische Christen geleitet hatte, machen sich einige der Aktivisten, die das Lager organisieren wollen, an die Lösung des Falles. Ein Video auf dem Handy des Getöteten deutet darauf hin hin, dass er vor seiner Zwangskasernierung offenbar einige Kinder in einem Keller versteckt hatte, die dort vermutlich immer noch auf seine Rückkehr warten. Nun gilt es, die Kinder zu befreien, die Mordermittlung rückt in den Hintergrund. Die Aktivisten brechen aus dem Lager aus und machen sich auf den Weg nach Berlin. Wie das vonstatten geht – und was die Frauen und Männer dabei erleben müssen, das ist im Prinzip die eigentliche Story von „Finsterwalde“.
„Spekulativer Realismus“ – Romane, die in der näheren Zukunft spielen sind im Moment ein großes Thema auf dem Buchmarkt, insbesondere auch im Krimibereich. Max Annas hält mit seinem spektakulären Entwurf der Gegenwart mit ihren Hass-Debatten auf radikalste Weise den Zerr-Spiegel vor – und er bezieht dabei nicht minder radikal Position. Diese Radikalität samt ihrer dramaturkischen Konsequenzen muss man (wie ich) nicht bis ins letzte Detail teilen, um mit seinem neuen Roman sein so großes wie zwiespältiges “Vergnügen” haben zu können:
“Finsterwalde” ist ein sehr smart geplotteter und dramatisierter Thriller, der in Hochgeschwindigkeit exzellent mit den Mitteln des Genres operiert – und ein kontroverser Polit-Roman zur Zeit, der mit immenser Energie am Nerv der Dinge bohrt, die nicht bloß die Zukunft, sondern auch die Gegenwart in Deutschland derzeit eben alles andere als licht und freundlich scheinen lassen. Der Plan, den Max Annas wohl hatte, als er sich diesen Roman ausdachte, er geht auf, in vielfacher Hinsicht.
Max Annas: Finsterwalde. Rowohlt Verlag, 2018. 400 Seiten. ISBN 978-3498074012. Euro 22