Literaturnobelpreis für Annie Ernaux

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Literaturnobelpreis für Annie Ernaux

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Heute wurde bekannt gegeben, dass die Französin Annie Ernaux den Literaturnobelpreis 2020 bekommt. Toll, denn sie ist eine großartige, bedeutende Schriftstellerin, die eine ganz eigene Weise entwickelt und etabliert hat, das Leben zu spiegeln und darin die gesellschaftlichen Verhältnisse zu reflektieren. Im Februar 2020 habe ich die Hörspielversion zu ihrem Roman “Die Jahre” vorgestellt, nebst zwei anderen französischen Autorinn mit ihren (mehr oder minder) autobiographischen Werken, den Text ziehe ich hier nochmal hoch. Wer sich das Original mit Hörbeispielen anschauen/anhören möchte, wird HIER fündig …

Annie Ernaux: Die Jahre

Am 10. März wird der deutsche Hörbuchpreis 2020 vergeben, einige der GewinnerInnen stehen schon fest – unter anderem wird die grandiose Hörspieladaptation des Romans „Die Jahre“ von Annie Ernaux den Preis eben für das beste Hörspiel erhalten. (Der Audio Verlag, Euro 14,99 – Taschenbuch: Suhrkamp Verlag, Euro 11). Autobiographisches Schreiben erlebt im Moment ja einen großen Hype. Anne Ernaux, geboren 1940, ist nicht bloß eine Vorläuferin, sondern eine der wichtigsten Vertreterinnen, vielleicht sogar die wichtigste. Ihr Roman „Die Jahre“ erschien in Frankreich 2008, 2017 wurde er ins Deutsche übersetzt: Die Geschichte eines Lebens, ihres Lebens, erzählt anhand von Fotografien und Videos aus diesem Leben. Zugleich ist das Ganze aber auch eine Mentalitätsgeschichte Frankreichs – und Europas, letztlich. In der Hörspielversion, die der Hessische Rundfunk in Auftrag gegeben hat, verdichtet Regisseurin Luise Voigt die Geschichte auf ihre Essenz – und lässt sie von vier Schauspielerinnen mit verschieden „jung“ bzw. „älter“ klingenden Stimmen vortragen. Ein Kniff, mit dessen Hilfe sozusagen alle Lebensphasen in jedem Moment dieses Lebens stimmlich präsent sind. Das Ergebnis ist grandios also auch deshalb, weil die spezifischen Mittel der Kunst des Hörspiels hier so optimal eingesetzt werden. Abgesehen davon: Packend und faszinierend, bringt einen eine Stunde und 18 Minuten lang immer wieder zum Staunen.

Inès Bayard: Scham

Eine Frau vergiftet ihren Mann und ihren kleinen Sohn. Warum? Was keiner weiß: Die Frau ist von ihrem Chef in einer Bank brutal vergewaltigt worden. Für ihn so etwas wie ein Kavaliersdelikt – für sie der Untergang. Ein Untergang allerdings, der sich über Jahre hinzieht, quälend und grausam. So lange, bis sie nicht mehr anders kann, als dem Gift, das sich durch ihre Seele, durch ihren Körper frisst, etwas entgegenzusetzen – indem sie all das, was mit ihr, mit ihrer Seele, zu tun hat, abtötet. Aber warum musste es so weit kommen? Also, abgesehen von dem widerlichen Typen, der die fatale Kette in Gang gesetzt hat, nur um für einen Moment seine Macht zu spüren? Das war vor allem auch die Scham – es gab niemanden, mit dem Marie den Horror, den sie erlebt hat, hätte teilen und sich damit vielleicht wenigtens ein Stück weit hätte heilen können. In ihrem in Frankreich viel diskutierten Roman „Scham“ dekliniert die Inès Bayard die Folgen von sexueller Gewalt konsequent und kompromisslos durch, eher sachlich im Ton, unerbittlich dafür im Blick auf das, was die Täter sich zuschulden kommen lassen, was sie bei denen, die betroffen sind, bewirken. Extrem und erschütternd. Nicht zuletzt auch durch die extra tragische Wendung ganz am Schluss übrigens, denn mit der scheinbar kompletten Inhaltsangabe oben ist über die Geschichte dieses Roman längst noch nicht alles gesagt … (Zsolnay Verlag, übersetzt von Theresa Benkert, Euro 22)

Sophie Calle: Das Adressbuch

Sophie Calle, geboren 1953, ist eine der international anerkanntesten Konzeptkünstlerinnen, immer wieder überrascht sie mit spektakulären Ideen, die mitten ins Mark der Gesellschaft stoßen. Ein Beispiel: Ende 1983 fand sie ein Adressbuch auf der Rue des Martyrs in Paris. Bevor sie es zum Fundbüro brachte, kopierte sie es – und spürte dem ihr unbekannten Besitzer nach, indem sie die verschiedenen „Adressaten“ kontaktierte und sich ein Bild des Eigners und seiner Persönlichkeit zu schaffen suchte. Die Ergebnisse veröffentlichte sie im August des Jahres in einer täglichen Kolumne in der Zeitung „Libération“ – was zu heftigen öffentlichen Diskussion in punkto Datenschutz und Persönlichkeitsrecht führte. Das war 1983, lange vor den Zeiten der sozialen Medien, unter ganz anderen Bedingungen als den heutigen also, was der Aktion aus jetziger Sicht nochmal einen speziellen Charme verleiht. Abgesehen davon aber auch ohne diesen Effekt: Eine ausgesprochen interessante und lesenswerte Recherche, ein ganz anderer Blick auf „Gesellschaft“ sozusagen – kann man jetzt nachlesen, weil der Suhrkamp Verlag die gesammelten Kolumnen erstmals auf Deutsch als Buch herausgebracht hat. („Das Adressbuch“, übersetzt von Sabine Erbrich, Euro 22)

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