Und jetzt: Das Wetter! (in der Literatur)

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Und jetzt: Das Wetter! (in der Literatur)

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Wenn ich so höre und lese, was den Leuten widerfährt durch Sturmtief Friederike, dann denke ich mir manchmal: Hm, da könnte ja auch Literatur draus werden. Tun sich nicht unendliche Möglichkeiten auf, wenn so ein ICE in Fulda oder irgendwo auf dem Land liegen bleibt, die Leute ins Gespräch kommen, gemeinsam in einem “Hotelzug” oder in irgendeiner Dorfturnhalle übernachten müssen? Mal schauen, was die zeitgenössische Literatur aus Deutschland als Orkanfolge so liefern wird in den nächsten Jahren. Der Anfang ist nämlich schon gemacht – wenn man zum Beispiel die FAZ liest, wo eine Journalistin detailliert beschreibt, wie sie auf dem Weg von Frankfurt nach Berlin eben in Fulda strandete. Wobei man sich natürlich auch fragen kann, wie dämlich das eigentlich ist, an einem Tag mit einer solcher Wetterwarnung so eine Reise anzutreten, bloß weil der Himmel über Frankfurt noch blau ist. Na ja, egal, Hauptsache Zeilengeld. Jedenfalls: Dieser Sturm wird Literaturgeschichte schreiben, davon muss man ausgehen.

Das Wetter in der Literatur – ist natürlich ein wichtiges Thema. Im 19. Jahrhundert war es für Schriftsteller sogar mehr oder minder unverzichtbar, keine Geschichte ohne Wolken, Sonne, Regen, Schnee. Wetterberichte in literarischer Form eignen sich auch für weniger begabte AutorInnen ganz hervorragend, um Stimmungen in Seelenlandschaften zu zeichnen. Je plakativer das Wetter, desto schlechter der Autor, so lautet ein Bonmot unter Literaturwissenschaftlern, zumindest in Sachen seelischer Prozesse. Fies, oder? Wie auch immer: Wetter intelligent und kreativ zu beschreiben, also irgendwie “neu” und ohne Plattitüden, das ist gar nicht so einfach. Auch deshalb übrigens, weil jeder Schriftsteller, der was auf sich hält, mal eine gute Wetterszene geschrieben haben muss; inklusive der Klassiker. Die Latte liegt hoch; ein Stürmchen im Wasserglas wird da kaum ausreichen. Unverzichtbar ist das Wetter natürlich in (fast) jeglicher Form von Abenteuerliteratur – das Wetter ist sozusagen das Gesicht, die Exekutive der Natur, in der der Mensch nicht bloß bestehen, sondern die er auch auch überwinden, meistern, besiegen muss.

Der Mensch und die Natur – das ist angesichts des Klimawandels und sonstiger ökologischer Fragestellungen ein aktuell sehr drängendes Thema – nicht bloß in der Literatur, sondern auch in der Philosophie. Im Zuge der Aufklärung – und damit auch im Zuge des Kapitalismus – hat der Mensch sich mit den Mitteln seiner Vernunft und seiner Rationalität sozusagen über die Natur gestellt. Beziehungsweise: Gegen die Natur. Was, klar, auf Dauer nicht gutgehen kann – höchstens bis zu dem Punkt, an dem die Ressourcen erschöpft sind. Oder das Klima zusammenbricht. Weshalb man sich jetzt fragt: Wie steht es denn nun um unser Verhältnis zur Natur? Geht das überhaupt, dass wir “jenseits” der Natur existieren? Sind “wir” nicht immer auch Teil der Natur, egal was auch immer wir mit Hilfe technischer und wissenschaftlicher Mittel anstellen. Und wenn das so ist, was heißt das für die Zukunft? Fragen, die drängen – und die immer stärker auch in Romanen und Geschichten auftauchen.

Spannend ist eine ganz aktuelle Entwicklung, für die findige Literaturwissenschaftler sogar schon eine Bezeichnung erfunden haben: Climate Fiction, kurz: Cli-Fi – angelehnt an Sci-Fi von Science Fiction. Literatur also, die sich mit dem Klimawandel beschäftigt. Das können ganz verschiedene Geschichten sein – vom Roman eines melancholischen Zeitchronisten, der über das nahende Ende der Welt sinniert, bis hin zum kapitalismuskritischen Ökothriller, der die Zusammenhänge von Profitgier und Umweltzerstörung aufzeigt. Und es gibt, nebenbei bemerkt, mittlerweile sogar einige Romane, die so gewitzt konstruiert sind, dass “das Wetter” zum entscheidenden Handlungsträger wird – und selbst eingreift. Okay, die Natur ist die Natur, der Mensch ist “ihr” natürlich völlig egal – aber hier wird es (fast) plausibel, dass sie, “die” Natur, bei Bedarf zurückschlagen kann, zumindest in der menschlichen Phantasie.

Wie auch immer, in Bezug auf den Klimawandel könnte langfristig gesehen die Cli-Fi-Literatur durchaus eine wichtige Funktion haben: Die Daten und Schlussfolgerungen, die dem wissenschaftlich zu Grunde liegen, das alles ist ja hoch theoretisch und abstrakt. Und Zukunftsmusik. Ja, wie darf man sich das vorstellen? Da setzt Cli-Fi an: Das spekulative Moment, das dem Geschichtenerzählen inne wohnt, könnte den Klimawandel jenseits der trockenen wissenschaftlichen Szenarien vorab für alle spürbarer machen – bevor es zu spät ist, an den ökologischen und ökonomischen Mechanismen in letzter Minute doch noch etwas zu ändern. Oder so. Vom Wetter zu lesen und schreiben, wäre demnach jedenfalls eine ökologische Notwendigkeit – es gab schon schlechtere Argumente für die Existenzberechtigung von Literatur.

Ein kleine Auswahl an Romanen “mit Wetter”:

Frank Schätzing: Der Schwarm (Fischer Taschenbuch, Euro 9,95)
Ilija Trojanow: Eistau (dtv, Euro 9,90)
Ian McEwan: Solar (Diogenes, Euro 11,90)
Steinar Bragi: Hochland (DVA, Euro 14,99)
Michael Koryta: Die mir den Tod wünschen (Heyne, Euro 12,99)
Steffen Jacobsen: Lüge (Heyne, Euro 16,99)
Omar El Akkad: American War (S. Fischer, Euro 24)
Kim Stanley Robinson: New York 2040 (Heyne, Euro 16,99, erscheint im März)

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