Der Föderalismus ist eine Erfolgsgeschichte

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Der Föderalismus ist eine Erfolgsgeschichte

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Wann haben Sie zuletzt mit Freunden über Schulpolitik diskutiert? Und wie lange hat es gedauert, bis jemand in der Runde den deutschen Föderalismus für die ganze, angebliche Misere verantwortlich gemacht hat? Vermutlich ahnen Sie, worauf ich hinaus will. Der Föderalismus in Deutschland, so wie ihn die Länder 1949 im Grundgesetz festgeschrieben haben, ist zwar eine Erfolgsgeschichte, hat aber trotzdem keinen guten Ruf. „Kleinstaaterei!“ lautet der gängige Vorwurf – ineffizient, bürokratisch, teuer.

Selbst gestandene Ministerpräsidenten verfallen gelegentlich diesem Lamento. Vor genau zehn Jahren, zum 65. des Grundgesetzes, befand Ex-NRW-Regierungschef Wolfgang Clement (SPD), „dass eine Länderneugliederung zwingend wird, und zwar im Sinne einer kräftigen Reduktion der Zahl der Länder auf sechs, allenfalls acht.“ Und Bayer Edmund Stoiber (CSU) wagte 2010 die Vorhersage, „dass schon in wenigen Jahren ein Reformschritt erfolgen wird, der bisher immer wieder vertagt wurde: die Neugliederung der Bundesländer.“

Dagegen waren seine öffentlich angestellten Berechnungen über die Bahnfahrt vom Münchner Hauptbahnhof zum Flughafen vergleichsweise präzise.

Föderalismus anderswo

Es ist seltsam: Die Bundesrepublik hat die stabilste und friedlichste staatliche Ordnung in der jüngeren deutschen Geschichte, vordergründing wird aber nur über ihre Unzulänglichkeiten gesprochen.

In den USA gibt es zwischen Kalifornien mit 40 Millionen und Wyoming mit 580.000 Einwohnern ein noch größeres Gefälle als zwischen Nordrhein-Westfalen und Bremen. Aber wird an Küchentischen in den USA deswegen der Föderalismus infrage gestellt? Wem das zu weit weg ist: In der benachbarten Schweiz ist das Gefälle zwischen den Kantonen Zürich und Appenzell-Innerrhoden ähnlich groß. Eine Revision der Eidgenossenschaft ist dort allenfalls ein Nischenthema.

Ich finde: 75 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik gibt es gerade für die Länder durchaus Anlass, zufrieden zurückzuschauen. Der föderale Staatsaufbau, den sie seinerzeit beschlossen haben, hat umsichtig Traditionen und regionale Besonderheiten mit gesamtstaatlicher Stabilität und einem gemeinsamen Nationalbewusstsein verbunden.

Verunklarte Verantwortung

Die Gefahr für den Föderalismus ist meines Erachtens nicht, dass es zu viele Länder gibt. Das Problem ist, dass die Eigenstaatlichkeit und Souveränität von Ländern und Länderparlamenten auf der Strecke zu bleiben drohen.

Kompetenzverflechtung zwischen Bund und Ländern führt zu Wirrwarr. Aber demokratische Verantwortung braucht klare Zuständigkeit. Außerdem haben sich die Länder vom Bund die häufig zitierten „goldenen Zügel“ anlegen lassen, Finanzhoheit und echte Steuerautonomie haben sie nicht.

Dass in der Pandemie die Ministerpräsidentenkonferenz, die im Grundgesetz überhaupt nicht vorgesehen ist, zu einer Super-Regierung mutierte, mag aufgrund der Umstände verständlich sein, hat aber die Länderparlamente noch weiter in die Zuschauerrolle gedrängt.

Aus Ländersicht gilt es, diesen Tendenzen nicht weiter Vorschub zu leisten, soll der Föderalismus lebendig und den Menschen nah und verständlich sein.

Sonst hätte Alt-Kanzler Helmut Schmidt (SPD) am Ende doch recht: „Die sechszehn Bundesländer brauchen nicht notwendig Regierung und Opposition,“ meinte er 2008. Notwendig sei eine anständige Verwaltung, kontrolliert vom Landtag. Nur in Berlin müsse „wirklich regiert werden.“

Für einen überzeugten Föderalisten wäre das blanker Horror, die Länder als Verwaltungsabteilungen des Bundes.

Vor allem wäre es nicht im Sinne der Erfinder von 1949.

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Über den Autor

Jochen Trum ist Leiter der landespolitischen Redaktion des WDR.

Ein Kommentar

  1. Erfolgsgeschichte ist übertrieben, da gibt es schon Vor- und Nachteile.
    Aber im Kern bin ich auch für den Föderalismus, für mehr regionale Zuständigkeit. Daher bin ich auch gegen die EU in ihrer heutigen Form weil über diesen Umweg regelmäßig das Durchregieren probiert wird. Für die nationale und regionale Zuständigkeit bleibt dann oft nicht mehr viel übrig.
    Bei Wikipedia steht ein längerer und leider auch etwas schwer verdaulicher Artikel über das „Demokratiedefizit der Europäischen Union“; darunter auch Absätze über „Defizitbeschreibung aus föderalistischer Sicht“, „Föderalistische Sichtweise“ und „Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts“.
    Über die Probleme beim Föderalismus wird oft und gerne geredet, daher ist diese Sichtweise im Grundsatz auch mal eine erfreuliche Abwechslung.
    Strukturelle Problem der EU kommen im Mainstream praktisch nicht vor.

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