Heute ist er 42 Jahre alt, PR-Berater, lebt nach wie vor in Berlin, trägt einen grauen Anzug und eine modische Hornbrille.
Die Doppelrolle: Pressesprecher für McFit und Lopavent
Im Jahr 2007 wechselte der Zeuge von einer PR-Agentur zu McFit, der Fitnesskette Rainer Schallers. 2007 fand auch die erste Loveparade außerhalb Berlins statt. Auch dafür war der Zeuge als Pressesprecher zuständig, sagt er. So hat er alle Loveparades im Ruhrgebiet miterlebt: Die Loveparade mit 1,2 Millionen Besuchern in Essen, mit 1,6 Millionen Besuchern in Dortmund und schließlich die mit 21 Toten und Hunderten Verletzten in Duisburg. Bei der Besucherzahl in Duisburg gibt es Unstimmigkeiten.
Eine Million Menschen wurden offiziell erwartet und eine Million seien es auch gewesen, so wurde es zumindest von Oberbürgermeister Adolf Sauerland damals verkündet. Wäre das Unglück nicht geschehen, hätte die Öffentlichkeit vielleicht nie einen Grund gehabt, an dieser Zahl zu zweifeln. Rainer Schaller nannte die Eine-Million-Besucher-Legende eine “Mediale Zahl”, der Zeuge nennt sie die “kommunikative Zahl”. Eine Zahl, die gut klingt und die man laut Rainer Schaller zu Marketingzwecken veröffentlicht hatte. “An der Übertreibung der Zahlen war ich nicht beteiligt. Ich habe sie aufgenommen und weiterverbreitet”, sagt der ehemalige Pressesprecher.
Die Kunst des Nichts-Sagens
Ob bewusst oder unbewusst scheint mir der PR-Berater eine gewisse Kommunikationsstrategie zu verfolgen. Auf Fragen antwortet er meist mit einer Spiegelung. Ein einfaches Beispiel:
Richter: “Erinnern Sie sich, am 02.10.2009 bei einer großen Besprechung in Duisburg dabei gewesen zu sein? Was können Sie uns dazu sagen?”
Zeuge: “Ich war bei einer Besprechung in Duisburg. Es war eine große Runde, an der viele beteiligt waren.” Mehr kommt nicht. Als die Fragen konkreter werden, sagt der Zeuge häufig: “Das weiß ich nicht mehr. Das ist schon zehn Jahre her.”
Sprache
Die Formulierungen des Zeugen sind bemerkenswert. Sie sind oft unpräzise und passivisch. Beispiele: “Entsprechende Leute haben irgendwann eine Entscheidung getroffen.”, “Unter den Diskutierenden wurde sicher diskutiert. Aber das war diffus.”
Diffus ist ein schönes Wort, denke ich. Es beschreibt auch den Eindruck, den der Zeuge heute bei mir hinterlässt.
Schließlich
Wenige Tage nach der Loveparade-Katastrophe kündigte der Mann damals seinen Job. Er habe kein Pressesprecher mehr sein wollen. Sein Chef habe ihn anstandslos ziehen lassen. Danach habe er keinen Kontakt mehr zu seinen ehemaligen Kollegen gehabt. Diese Äußerung wird durch diverse SMS in Frage gestellt. Doch der 42-Jährige kann sich auch daran nicht erinnern.
Der Prozesstag geht zu Ende und ich bekomme Falten vom vielen Stirnrunzeln. Ich muss daran denken, dass der Zeuge sagte, er habe sich auf den Prozess unter anderem mit der Lektüre des WDR-Blogs vorbereitet. Interessant, wer hier so mitliest…