Die zentrale Frage, die über den Zeugen und Beweisen, die derzeit im Prozess behandelt werden schwebt, lautet aus meiner Sicht: Warum haben Polizei und Ordner am Zugang an der Karl-Lehr-Straße die Zäune entfernt und eine hohe Anzahl an Menschen ungehindert in den Tunnel gelassen? Und wie haben die Polizeisperren auf der Düsseldorfer Straße auf die Katastrophe eingewirkt.
Angesichts des 10. Jahrestags der Loveparade-Katastrophe stehen einige Theateraufführungen an, die das Thema aufgreifen. Das ist auch unter uns Prozessbeobachtern Thema. Den Prozesstag in drei Akte zu strukturieren, liegt für mich heute irgendwie nahe.
1. Akt: Der unwillige Zeuge
Im ersten Teil des Tages sagt ein Zeuge aus, der als Sicherheitsmann im Tunnel, dem Westeingang (Karl-Lehr-Straße) und dem unteren Rampenbereich tätig war. Der 41-jährige Kölner verweigert zunächst die Aussage und überlegt es sich, angesichts der Haftstrafe, mit der ihm Richter Mario Plein droht, doch anders.
Der Sicherheitsmann erklärt, dass er mit dem Crowd Manager, seinem Chef, gut bekannt gewesen sei. Vor der Loveparade habe er schon 12 Jahre in der Sicherheitsbranche gearbeitet. Der Crowd Manager habe dem Zeugen vertraut. Daher habe er sich auch ohne direkte Anweisung bewegen und selbst entscheiden können, wo seine Hilfe gebraucht werde. Als am Eingang “Not am Mann” gewesen sei, habe er den Rampenbereich verlassen und umgekehrt.
Auf einem Video aus dem Tunnel, das vorgeführt wird, erkennt der Zeuge sich und einen Kollegen neben einem Polizeieinsatzwagen. Er sei neben diesem Fahrzeug hergelaufen und habe den Beamten geholfen durch die Menge zu kommen. Das sei Routine. Im Wagen hätten sich Sanitäter befunden. Einige seien unterwegs ausgestiegen, um Menschen zu helfen. Er habe den Wagen bis zur Rampe begleitet. Dort habe er sich dann den Menschen an der Treppe gewidmet.
Der Polizeiwagen habe seiner Ansicht nach keine Wellenbewegungen in der Menge ausgelöst. Dieser Wagen ist häufiger Thema im Prozess gewesen. Ich habe mich immer gefragt, was der da sollte. Warum die Polizei überhaupt mit einem Fahrzeug durch die Menschenmenge gefahren ist. Dass sich laut dieses Zeugen darin Sanitäter befanden, habe ich noch von keinem anderen im Prozess gehört.
Ab einem gewissen Punkt macht der Zeuge wieder dicht. Als es um die Panik in der Menschenmenge geht. Man kenne das Szenario ja. Er brauche es doch nicht erzählen. Er wisse nicht, warum das passiert sei. Der Richter scheint an dieser Stelle genug gehört zu haben. Der Zeuge darf gehen.
2. Akt: Durch das Objektiv der Polizei
Nach Beendigung der Zeugenaussage geht es weiter mit dem Sichten von polizeilichen Beweisvideos. Das Material ist ungeschnitten und bisher auch nicht veröffentlicht worden. Es handelt sich um Videos, die eine Kamera gemacht haben muss, die oben auf einem Einsatzwagen angebracht war. Sie ist hauptsächlich auf eine Polizeisperre an der Kreuzung vor dem Tunnel gerichtet. Diskutiert wird das Material heute nicht. Welche Schlussfolgerungen die Prozessbeteiligten aus den Beweisaufnahmen ziehen, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.
3. Akt: Schuldzuweisungen
Zum Schluss trägt einer der Anwälte eine Erklärung vor. Es ist eine Stellungnahme zur Zeugenaussage des Mannes, der “die rechte Hand” des Crowd Managers gewesen sein soll und vor einigen Wochen seine Aussage gemacht hat. Es ist eine lange Ausführung, die sich hier nicht zusammenfassen lässt. Es geht um die Glaubwürdigkeit des Zeugen und seines Vorgesetzten, des Crowd Managers. Ein wesentlicher Aspekt scheint mir, dass der Anwalt besonders das Fehlen von sechs Ordnern im Rampenbereich betont.
Dieses Fehlen soll zur Katastrophe geführt haben können, wie ein einzelner Autounfall auf der Autobahn zu einer Massenkarambolage führen könne. Folglich sei nicht sein Mandant verantwortlich, sondern der Crowd Manager. Denn dieser habe sechs Ordner für die Begleitung eines Prominenten auf das Gelände geschickt. Eine gewagte These, wie ich finde. Mal sehen, welche uns morgen erwarten.