Neulich haben wir im Radio bei “Cosmo” eine Stunde lang über die interessantesten Debütromane des Jahres gesprochen – und davon gab es so einige, aus allen möglichen Genres und Weltgegenden, siehe auch die Top 15-Liste HIER auf meinem Blog.
Klar, Corona war und ist eine Plage. Und zwar eine, die viel zu Vieles auch als Kollateralschaden verseucht und tötet, insbesondere auch im Kulturleben. Was die Debütromane betrifft, so war 2020 allerdings ein sehr starkes Jahr. Insbesondere im Rahmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur – und besonders, was junge SchriftstellerInnen mit familiärem “Migrationshintergrund” angeht. Herausragend waren für mich dabei die Romane “1000 Serpentinen Angst” von Olivia Wenzel – und “Hawaii” von Cihan Acar.
Plus natürlich die Debüts zweier Schriftstellerinnen, die autofiktional auf ganz verschiedene Weise von einem ähnlichen Thema erzählen, der Prägung durch ein Elternteil, das eingewandert ist – und davon, was das bedeutet, für das eigene Leben, für die Identitätssuche, wie auch für diese Gesellschaft, die – natürlich! – längst eine Einwanderungsgesellschaft ist.
Ronya Othmann, geboren 1993, erzählt in “Die Sommer” eben von den Sommern, die ihr Alter Ego Leyla in dem jesidisch geprägten Dorf in Nordsyrien erlebt, aus dem der Vater stammt; ein Leben in allereinfachsten Verhältnissen, komplett gegensätzlich zum Dasein hier. Mit dem Erwachsenwerden von Leyla werden die Besuche weniger, weil es immer gefährlicher wird aufgrund des Krieges in Syrien, bis hin zu den IS-Gräueltagen, die dazu führen, dass auch der Rest der väterlichen Familie sich auf den Weg nach Deutschland macht. Ein Coming of Age-Roman also, auch ein Bildungsroman, mit deutlich autobiographischem Touch; beeindruckend versiert geschrieben, insbesondere für einen Debütroman. (Hanser Verlag, Euro 22,–)
In “Streulicht” von Deniz Ohde geht es um eine junge Frau aus einfachsten Verhältnissen, die “es geschafft” hat, die also das Abi machen und studieren konnte – letztlich, nach einer großen Krise und vielen Umwegen, herkunftsbedingt. Die Mutter der Erzählin ist eine “Gastarbeiterin” aus der Türkei, der Vater Arbeiter im Industrie- und Chemiepark, der das Leben in dem Stadtviertel bestimmt und prägt. Ein doppeltes Päkchen also, das die Erzählerin zu tragen hat, das, was man “prekäres” Milieu nennt – plus Migration. Ebenfalls eine Geschichte mit autobiographischen Bezügen, die sich fiktional ein Stück weit verselbstständigen; Deniz Ohde erzählt davon sehr temporeduziert und detailreich und genau beschriebend; sie setzt vor allem auf Atmosphäre und Stimmung, um ihre Themen zu transportieren: “Streulich”, das steht dabei einerseixts für das fahle nächtliche Licht des Chemie-Industrieparks wie auch für die diffuse Unsicherheit, die die Erzählerin in ihrem Leben eben wegen ihrer Herkunft immer mit sich trägt. (Suhrkamp Verlag, Euro 22,–)