Aktuelle Bestseller von: Sebastian Fitzek, Patricia Melo, Helene Hegemann

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Aktuelle Bestseller von: Sebastian Fitzek, Patricia Melo, Helene Hegemann

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Angstlust mit brachialen Methoden: Sebastian Fitzek spielt nicht bloß mit den schlimmsten (Ur-)Ängsten seines Publikums; er setzt mit den Mitteln des Thrillers immer noch einen drauf, und zwar: ohne Rücksicht auf Verluste. Paradebeispiel dafür ist sein aktueller Roman „Der Insasse“ (Droemer Verlag, Euro 22): Ein Mann, Sanitäter von Beruf, dessen kleiner Sohn verschwunden ist, sieht keine andere Wahl, als sich mit falscher Identität, als „richtiger“ Verrückter, in die forensische Psychiatrie einweisen zu lassen, wo der abartige Serienmörder einsitzt, der den Kleinen mutmaßlich auf dem Gewissen hat. Ein fieses Fünkchen Hoffnung besteht allerdings noch, denn der Körper des Kleinen wurde nie gefunden.
Der Serienmörder war vor seiner Entdeckung als Paketbote unterwegs, um seine Opfer nicht bloß finden, sondern auch unauffällig fortschaffen zu können. Ein typisches Fitzek-Setting, dieser Autor ist ein Meister darin, ganz und gar alltägliche Situationen so zuzuspitzen, dass plötzlich alles möglich scheint, was denkbar ist. Und denkbar scheint vor allem das, was ganz besonders Böse und Perfide ist. Als „Simulant“ in einer Fitzekschen „Irrenanstalt“ zu schmoren – das ist eine Geisterbahnfahrt und Freakshow sondergleichen.
Wirklich beeindruckend, wie Sebastian Fitzek plottet, wie perfide er auf der Klaviatur der Ur-Ängste spielt. Weniger beeindruckend dagegen, einmal mehr, die Art, wie er seine Horroshow in Szene setzt: Sprachlich limitiert, figurenpsychologisch fragwürdig, ohne jeden Witz, immer auf das nächste Rrumms fixiert. Im Grunde ist das eine eiskalte Prosa, die ohne Empathie allein dem Effekt, also: dem Umsatz verpflichtet ist. Mega-Erfolgsliteratur in Hochzeiten des Neoliberalismus.

Dein schlimmster Feind – sitzt nebenban. Oder drüber. Drunter. Drumherum. Der Nachbar, die Nachbarin? Na, wohl doch eher der Nachbar. Derjenige, der einen, unter welchem Vorwand auch immer, in den Wahnsinn treiben kann, mit seinem Gebaren. Wobei: Wer wahnsinniger ist, der Nachbar oder der Nachbar des Nachbarn, also man selbst, das ist ja auch nicht immer klar, die Grenzen zwischen Normalität und Störung verschwinden häufig, wenn es um Nachbarschaftsstreitereien geht. Die übrigens millionenfach vor Gericht landen, vermutlich sind Nachbarschaftsprozesse ganz vorne, wenn es um die Zahl der meisten Verfahren aus einem Lebensbereich geht, die tatsächlich auch beim Richter landen.
Wie auch immer: Genau diese Gemengelage durchmisst und karikiert „Der Nachbar“ (Tropen Verlag, Euro 18), der neue Roman der brasilianischen Schriftstellerin Partricia Melo auf hübsch böse Art und Weise – als universell gültige Geschichte. Patricia Melo, das zeigt ihr aktuelles Buch einmal mehr, ist herausragend, eine (Genre-)Autorin von Weltrang.
Also, wenn schon in den Bestsellerlisten – wie immer vor Weihnachten – fast nur Trash zu finden ist, dann lohnt ein Blick in die Bestenlisten: Patricia Melo ist in diesem Monat sowohl in der Krimi-Bestenliste wie auch in der „Weltempfänger“-Liste für Literaturen aus Asien, Afrika, Südamerika bestens platziert, und zwar völlig zu recht. (Übersetzt von Barbara Mesquita.)

Apropos Trash: Wirklich erstaunlich, wie chancenlos gen Weihnachtsgeschäft die Romane in Sachen Bestsellern sind, die man jenseits von Krimi, Komik, Kabarett und Co. der Literatur-Literatur zuordnen würde. Irgendwo unter ferner liefen eiert gerade noch so der Roman „Archipel“ von Inger Maria Mahlke rum, Gewinner des deutschen Buchpreieses in diesem Jahr, der zwar nicht perfekt ist, aber auch nicht übel, kann man machen, als Geschenk. Abgesehen davon: Gähnende Leere, zumindest ganz oben in den Charts. Deshalb hier nur schnell noch der Hinweis auf einen Roman, der es auf jeden Fall verdient hätte, ein Bestseller zu sein – „Bungalow“ (Hanser Berlin, Euro 23,–) von Helene Hegemann. Richtig, das ist die Schriftstellerin, die, kaum erwachsen, mit „Axolotl Roadkill“, ihrem Debütroman, vor ein paar Jahren einen ersten Hit landete. „Bungalow“, ihr dritter Roman, ist eine Art Generationenportrait, zugleich ein bissiger Blick auf unsere Gesellschaft. Und die Autorin, die immer noch jünger ist als der größte Teil vom Rest, entpuppt sich mehr und mehr als eine der spannendsten und eigenwilligsten Stimmen der aktuellen deutschen Literatur. Ja, doch, auch das kann man sich mal anschauen. Und sogar verschenken. Dann zumindest, wenn man dem Beschenkten mal ein wenig Herausforderung gönnen möchte.

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