Bisschen Theorie (1) – Fatalismus in der großen Gereiztheit

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Bisschen Theorie (1) – Fatalismus in der großen Gereiztheit

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Angst, Angst, Angst. Hass, Hetze, Hysterie. Halbwahrheiten. Wie umgehen mit dem Wahnsinn, der einem aus dem Netz ins Hirn brandet? Wie einen kühlen Kopf bewahren, sich nicht anstecken lassen? Der Theologe und Publizist Matthias Drobinski empfiehlt einen konstruktiven Fatalismus; der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen seziert die große Gereiztheit der digital geprägten Kommunikation in der „Empörungsdemokratie“ und empfiehlt: Gelassenheit.

Matthias Drobinski: „Lob des Fatalismus“

Also: Abwarten, mit einer gesunden Portion Skepsis – und mal schauen, wie die Dinge sich entwickeln? Wirklich? Der Fatalismus hat ja keinen allzu guten Ruf. Fatalisten, die Schicksalsergebenen, gelten oft als Zyniker, die sich den Möglichkeiten der Welt verweigern; voller Mitleid bedauert man sie für ihr – möglicherweise ja sogar depressive – Melancholie. Fatalisten, das sind die Mutlosen und die Resignierten. Und in der Öffentlichkeit war das Wort ein Kampfbegriff, seitdem es existiert: Fatalisten glauben nicht wirklich an den freien Willen, an die Gestaltbarkeit der Welt.

Aber – stimmt das alles überhaupt? Matthias Drobinski hinterfragt in seinem „Lob des Fatalismus“ (Claudius Verlag, 14 Euro) den gängigen Umgang mit dem Fatalismus – und plädiert dafür, andere Potentiale dieses Begriffs, dieser Haltung zu erkennen: Eben die Gelassenheit. Das Entspannte. Das Zweifeln, die gesunde Skepsis. Die Begabung, mit den Dingen zurecht zu kommen, so wie sie sich ergeben – angesichts der Tatsache, dass es sowieso eine Illusion ist, die Welt irgendwie unter Kontrolle haben zu können. Und der (Galgen-) Humor, mit dem viele Fatalisten der Welt begegnen.

Ein aufgeklärter Fatalismus, sagt Drobinski, setzt dem Weltverbesserungspathos Grenzen; der Phantasie, eine schöne neue Welt sei planbar und in einem Willensakt herstellbar. “Sie muss unvollständig bleiben, diese Welt, will sie menschgemäß sein. Das Unplanbare und Unvorhersehbare gehört zu ihrem Wesen. Gerade das aber verunsichert die Menschen, seit sie über sich und die Welt nachdenken. Eine gute Portion Fatalismus im Leben löst das Problem nicht. Man kann aber besser mit ihm leben.“ Der Fatalismus – möglicherweise also eine ganz gute Haltung, um in einer unübersichtlicher gewordenen Welt erstmal den Stand zu bewahren…

Bernhard Pörksen: „Die große Gereiztheit“

Apropos unübersichtlich: Das hängt ja ganz entscheidend mit der Digitalisierung zusammen, die die Kommunikation und auch die Medienlandschaft(en) grundlegend verändert hat, was gravierende Konsequenzen für jeden hat: 24 Stunden am Tag werden wir mit Infos von allen Orten der Welt bombardiert, die auch noch mehr oder minder unsortiert aus allen möglichen Kanälen auf uns einprallen.

Und das hat natürlich gravierende Folgen. Die Gesellschaft hat sich zu einer Empörungsdemokratie gewandelt, so die These des Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen in seinem klugen Essay „Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung“ (Hanser Verlag, 22 Euro). Kleinste Begebenheiten können in diesem Kontext zu größten Skandalen werden – wobei noch nicht einmal sicher sein muss, dass sich das Ereignis, über das empört debattiert wird, tatsächlich stattgefunden hat.

Hintergrund: Durch die digitale und elektronische Vernetzung ist das eingetreten, was der visionäre Medienwissenschaftler Marshall McLuhan schon in den 1960er Jahren prophezeite. Die vernetzte Welt funktioniert wie ein globales Nervensystem; wir sind permanent damit konfrontiert, was Menschen irgendwo auf der Welt bewegt, verstört, ängstigt, beschäftigt. Dabei treffen verschiedenste Lebensentwürfe, Wertvorstellungen und alle möglichen Facetten des allzu Menschlichen aufeinander. Eine ständige Irritation entsteht. Die Folge: Eine Art chronische Dauergereiztheit – deren Ventil eben die Empörung ist.

Ein „Raus“ aus dieser Dynamik der digitalen Medien ist nicht denkbar, man muss die Situation annehmen und sich damit auseinandersetzen. Als Gegenmittel entwirft Bernhard Pörksen die Idee „der konkreten Utopie der redaktionellen Gesellschaft“: Eine Gesellschaft, in der Grundkompetenzen des Journalismus zum Allgemeingut geworden sind, so dass Jedermann die Glaubwürdigkeit und Relevanz von Informationen selbst einschätzen kann.

Die Frage ist also: Wie umgehen mit den Herausforderungen der neuen Medien? Wie einen kühlen Kopf bewahren in Zeiten der großen medialen Gereiztheit? Bernhard Pörksen bleibt gelassen. Er meint: Wir können NOCH nicht damit umgehen. Aber wir können und wir werden das lernen. Denn wir leben in einer Übergangsphase, das alles ist noch völlig neu. Heißt: Die große Gereiztheit, das große Krisengefühl wird auch wieder nachlassen. Die Zeit bis dahin müssen wir überstehen. Dabei hilft, nebenbei bemerkt, möglicherweise – ein bisschen Fatalismus.

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