“Broken German” – ein Gastbeitrag von Tomer Gardi

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“Broken German” – ein Gastbeitrag von Tomer Gardi

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Darf der das? Also: So improvisiert und eigensinnig mit dem Deutschen umgehen und verfahren? Das ist doch kein Deutsch!?! Eine Diskussion, die sich vor ein paar Jahren tatsächlich ereignete – nachdem Tomer Gardi Texte aus seinem Buch “Broken German” beim Bachmann-Wettbewerb vorgestellt hatte. Tomer Gardi stammt aus Israel, er lebte ab seinem zwölften Lebensjahr immer mal wieder in Wien oder in Berlin, wo er auch derzeit seinen Lebensmittelpunkt hat. Sein Deutsch ist eben ein gebrochenes Deutsch, ein gesprochenes, eines von der Straße, vom Fußballplatz, aus der Kneipe – und genau in diesem Deutsch hat er die Geschichten aus “Broken German” geschrieben, die zusammengefügt so etwas wie einen Roman ergeben. Auf den ersten Blick wirken diese Geschichten einfach, fast naiv – aber das täuscht gewaltig: Das Ganze ist sehr gewitzt durchdacht und dramatisiert, samt Metaebene, auf der letztlich genau die Frage gestellt und beantwortet wird: Darf der das – der Einwanderer, mit seinem unperfekten Deutsch? Klar, warum nicht, würde ich sagen. Im Gegenteil sogar, falsche Frage, der muss das doch. Denn das Deutsche gewinnt bei der ganzen Sache, an Witz, an Kreativität, an Leichtigkeit. Das beweist übrigens auch der jetzt folgende Text, der die Frage ebenfalls stellt und beantwortet, allerdings: als Geschichte. Die er übrigens auch bei seiner Lesung im Rahmen der litprom-Literaturtage 2020 vorgetragen hat, siehe Bild oben. (Aus: Broken German, Literaturverlag Droschl, 2016, Euro 19. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages, herzlichen Dank dafür!)

Ein kleiner Ausschnitt zur Probe:
Und HIER bei soundcloud findet sich die komplette Lesung als litprom-Audio; “Broken German” liest Tomer ab Minute Neun.

Tomer Gardi – Broken German

Drei Kinder steigen von eine U-Bahn aus. Eine heisst Amadou,
eine Radili, eine heisst Mehmet. Es ist Sommer. Im
U-Bahn steht Mehmet, sein Hand hochgestreckt, hält sich
zum Stange. Er hat schwarzes Haar unter sein Arm und sieht,
stolz, wie Radili es anschaut. Radili ist dreizehn und Mehmet
schon vierzehn und er fragt sich selbst, Radili, wann es bei
ihm auch schon anfangen wird mit dem Haar. Dann hält das
U-Bahn und Mehmet öffnet die Tür und Radili, von hinten,
stosst Mehmet auf eine Frau die da vor dem Tür steht. Sie
schreit Mehmet an und dann ist er nicht mehr so Cool mit
sein Haar unter seine Ärme und Radili lacht und ränt weg
zum Rolltreppe. Mehmet ränt ihm nach und erwischt ihm am
anfang von Treppe und schlägt ihm mit Faust auf sein Schulter.
Dann ist Amadou auch da und er sitzt auf das schwarzes
Gummi Rand als die Rolltreppe die drei zum blauen Licht und
Luft hoch nimmt.

Draussen gehen die drei richtung Park Frisbee spielen und
Mehmet nimmt von sein Tasche ein Playboy und die drei
schauen sich die nackte Frauen an. Radili wunscht sich er
wär jetzt allein. Amadou fragt Mehmet woher er das hat und
Mehmet dann sagt, wieder gleichgültig und stolz, vom Kiosk,
woher sonst? Dann steckt Mehmet das Playboy zurück und redet
mit Radili und Amadou über Bernadette die in seine Klasse
ist und man sagt sie hats schon gemacht. Morgen geht er
mit ihr zum Kino und dann, nachher, wird er dass alles schon
checken. Amadou und Radili fragen und sagen und versuchen
das wichtigste sache im leben zu lernen, und schnell.

Von selben Ausgang den selben U-Bahn Station steigen von
tiefen des betonadisches Erde fünf oder sechs Fussbal Fans aus.
Die sind alle besoffen und ihr Team hat verloren. Das passiert
ihren Team viel zu oft und die sind alle wütend und bitter.
Radili und Amadou und Mehmet hören wie sich die Gruppe
nähert, laut und im suche auf Sieg. Trotzdem sagt jeder
sich selbst das es wahrscheinlich nichts ist und reden wir lieber
weiter normal. Die Stimmen werden aber näher und näher
und die drei machen weiter und gehen nicht schneller und
reden weiter nur um nicht leiser zu gehen, angstvoll und unheimlich.

Von hinten schreit sie dann jemand nach. Hallo ihr!
Hallo ihr! Was für Sprache redet ihr da! Radili und Amadou
und Mehmet reden Deutsch aber kein Arien Deutsch sondern
ihr Deutsch wie mein Deutsch auch die ich hier schreibe und
wie ich die rede. Die drei gehen weiter und antworten nicht
als aber von hinten jemand da laut schreit, Hei. Ihr da. Was
ist das für eine komische Sprache, dass was ihr da redet! Dann
hält Radili und dreht sich um sagt dass es Deutsch ist. Mehmet
und Amadou halten mit ihm und drehen auch um. Nein sagt
eine. Glatze. Rote Augen von Trink. Nein, sagt er. Das ist kein
Deutsch, sagt er. Was WIR reden ist Deutsch, sagt er. Das was
WIR reden ist Deutsch. Was ihr da redet ist kein Deutsch.

Die drei wollen uns, sagt er zu seine Freunde, die drei wollen
uns anscheint veraschen. Die drei wollen sich über uns lustig
machen. Radili dreht dann wieder um weiter zu machen und
Mehmet und Amadou drehen auch um mit ihm und fangen
an weiter zu gehen als eine Flasche hinter sie zerbricht und
dann fangen sie an zu rennen. Schnell. Mehmet schaut nach
hinten und sieht die acht oder neun oder zehn grosse, fette
Skins, rennen ihr nach. Die drei laufen schneller dann der
Strasse entlang, die sind kleiner und schneller und sind nicht
besoffen. Am eine ecke rennen sie rechts und weiter und dann
rein in ein Treppenhaus wo sie drinnen warten bis sie aus des
Glass des Türs sehen wie ihre, wie sagt mann auf Deutsch.
Verfolger? Wie ihre Verfolger vorbeilaufen.

Zuhause zählt Radili sein Geld und es reicht nicht. Dann vier
wochen lang spart er sein Tachengeld und dannach nimmt
auch noch was dazu von das Geldbörse sein Mutters und dann
kauft er sich ein Clip-Point, 21 centimeter, Stahlklinge Messer.
Gratuliere, Radili. Gratuliere.

Wenn Radili zuhause ist steckt er sein Messer im dritten
Schublade unter seine Hosen und wenn er raus von zuhause
geht steckt er das Messer im Schu oder im Stiffel. Seine Ältern
sind beide beschäftig. Er sagt ihr nichts von das Messer und
nichts von die ganze Affäre. Wie er es dann sieht und verstäht,
so ist es besser für alle.

Vier Jahre geht Radili, Tag und Nachts, Schule und Kneipe,
Park oder Arzt, mit sein Clip-Point. Er geht mit dem Clip-
Point und hofft das es nie dazu kommt. Und dazu kommt es
auch nicht. Und nach vier Jahren dann ziehen er und die ganze
Familie Anuan aus. Radili, seine Ältern Olimin und Reva, seine
zwei Schwestern, Tirek und Mendil und Rami, sein Brüder.
Aus gewohnheit nimmt Radili sein Messer zur Flughaffen mit.
Dort lassen sie ihm damit natürlich nicht rein ins Flugzeug.
Es ist aber die glückliche, freie, schönne Tagen von Pre-Nine-
Eleven und Bush War on Terror und deswegen verhaften die
Bullen ihm nicht aber das Messer bleibt dann im airport for
good.

Wie es aber oft in geschichten ist, ein Messer der im ersten Akt
an Wand hängt, dann verschwindet, wird im dritten Akt wieder
irgendwo auftauchen. Ein literarische trick und regel. Der
Author steckt im Geschichte eine kleine, alltägliche, unauffälige
detail. Im ersten Blick können es nur die klugste, die
aufmerksamste, die meist gebildene und erfahrene Lesern entdeken.
Die anderen, die ja die fast absolute Mehrheit sind, geht
es völlig vorbei. Dann läst der Author das vergessene Element
wieder erscheinen, und baut herum das rest seine geschichte.

Ein paar Jahre nach das verschwinden von Radili und Messer
von unsere geschichte, kommt Radili züruck. Sein Flugzeug
landet, er fährt zur Stadt. In seiner Tasche ist Geld und ein
paar alte Adressen. Er ist züruck sein Glück hier wieder zu
suchen und finden. Er ist jetzt vielleicht dreizig. In die Strassen
seines Jugends geht er rum. Er kauft sich ein Bier und sitzt auf
ein Bank. Neben ihm sitzen zwei Frauen und die zwei Frauen
und Radili fangen an mit einander zu reden. Er spricht sein
einartiges Deutsch aber ihr scheint es nicht ein Thema zu sein.
Dann fängt es an zu regnen und die drei gehen rein in eine
Caffe und trinken alle noch ein oder zwei oder drei. Die beide
Frauen wohnen in eine grosse, Linksradikale, Künstler WG
und sie laden ihm ein zur besuch. Er ist froh und er zeigt das
er froh ist und die zwei Frauen sind auch froh und sie gehen
zusammen zur grosse WG.

In eine riesige Küche sitzen acht oder neun junge Menschen
und die zwei Frauen, Brigitte und Sandra, stellen ihm vor. Die
sind nett und machen dort Platz und Radili und Brigitte und
Sandra sitzen dann mit. Die junge Menschen reden über ihr
leben. Die reden über die Stadt. Die reden über Kunst und
Politik. Über Gewalt und Rassismus und die Staat, Pasolini
und Brecht und Godard und Rosa Luxemburg und Arendt
und die Anarchisten in Griechenland. Sie gehen Morgen zum
Demo. Sie laden Radili auch mit.

Radili ist froh und sagt ja, warum nicht. Dann entscheidet er
ihr seine Geschichte über sein Angriff zu erzählen. Mit seinen
gebrochenes Deutsch erzählt er dann den ganze Geschich9
te. Er und Amadou und Mehmet, das Frisbee, das Heft. Die
Skins und das Deutsch oder nicht Deutsch und das Angriff.
Das Angst. Das Wegrennen. Und wie er dann das Messer gekauft
hat und immer dammit ging. Dann aber, keine ahnung
warum, vielleicht weil er dachte es wäre ein viel schöneres
Ende zu seine Geschichte, hat Radili das Ende geändert. Ein
Kleinichkeit wirklich. Nichts wichtiges. Kein grosse Lüge also.
Aber statt zu erzählen wie er sein Messer dann damals im Flughafen
gelassen hat, hat Radili erzählt das er es im rande das
Park hier, bei einem Baum, in die Erde begrabte.

Die fanden es alles sehr interesant und Radili war froh und
alles war gut. Dann aber hat es geendärt. Weil dann hat Andreas,
politische Aktivist, Antifaschist und Filmacher, seine
Idee. Wir machen ein autonome Filmprojekt. Wir gehen alle
zusammen zur Park und suchen das Messer und Filmen uns
suchen. Und durch das Suchen des Messers erzählen wir deine
Geschichte, sagt er zu Radili, deine Geschichte der noch eine
open end hat, sagt er. Weil wir ja noch nicht wissen können,
ob wir dein Messer finden oder nicht finden. Aber das Suchen
ist hier gerade das wichtigste. Das Suchen, sagt er. Und das
Film nennen wir Broken German.

Er war, Radili, natürlich verlegen. Es ist wirklich nicht wichtig,
hat er gesagt. Lassen wirs sein. Egal jetzt wo das Messer ist. Ist
vorbei. Dazu hat jemand gesagt, es sei eine Akt von Nachbesserung.
Fehlerbehebung. Wiedergutmachung. Ein Kreis wird
so endlich geschlossen. Dann sagte Radili, er weisst nicht mehr
wo, beim welchen Baum das Messer begraben sein könnte. Es
sind ja über zehn Jahre! Das haben sie ihm freundlich und mit
gute Laune nicht geglaubt. Morgen ist er beschäftig, hat er
ihr ernsthaftig gesagt. Sie haben ihm aber dann errinert, dass
er versprochen hat Morgen mit ihr zum Demo mitkommen.
Und das ist sogar noch wichtiger als Demo, sagt Andreas. Statt
Demo gehen wir filmen. Zur Park. Es ist hier in der nähe. Kein
Chance. Radili konnte nicht Raus. Ihm wurde ein Handtuch
gebracht, ihm wurde das Sofa gemacht, gute Nacht.

Morgen haben alle zusammen gefrüstuckt. Von Hof haben
dann Brigitte und Volker vier Schaufeln gebracht. Andreas hat
seine Kamera vorbereitet. Dann sind alle raus, zum Park.
Im Park hat Andreas sein Kamera angemacht und fang an
zu filmen. Radili am Rand des Parks. Radili schaut herum,
uberlege. War es hier? Oder hier? Ein Close-Up auf ihm.
Protagonist im tief denken. Focus-Change. Protagonist verschwommen,
hinter ihm eine Gruppe spielt Fussbal. Zwei
Bullen suchen nach Park Dealers. Camera bewegung nach
Links. Brigitte und Jürgen und Regina und Kristof, Schaufeln
im Hand. Ein Frau und ein Hund rennen durch Frame.
Protagonist tretet in Frame rein. Protagonist nimmt von Kristof
sein Schaufel. Zoom-Out. Protagonist zeigt mit Finger an
ein paar grosse Bäume. Protagonist geht hin. Anderen gehen
ihm nach. Protagonist hält. Close-Up. Protagonist zeigt mit
finger an vier, fünf Bäume. Protagonist schaufelt. Zoom-Out.
An andere Bäume schaufeln die andere. Camera bewegung
nach rechts. Altes Paar mit ein Hund schauen an. Frau auf ein
Fahrrad hält. Close-Up an sie. Kurzes Haar, schwarze, braune
Augen, neugierig.

The End.

Nein. Jetzt aber wirklich. Jetzt aber ernst. Hat Radili das Messer
wirklich im Flughaffen gelassen? Er ist zur zeit schon nicht
ganz so sicher. Im dritten Schublade vielleicht? Vielleicht hat
er es Amadou gegeben? Vielleicht ist es in sein Schu? Vielleicht
steckt es in jemandens Rücken? Vielleicht hängt es an
jemandens Wand? Und es macht ihm Angst. Das sorgt ihm. Es
macht ihm nervös. Denn er hat keine ahnung, keine ahnung
wie und wo und wann wird das Messer von ersten Akt wieder
in seine Geschichte auftauchen. Und der Schrei. Wann taucht
wieder der Schrei. Das ist kein Deutsch. Das ist kein Deutsch.
Was WIR reden ist Deutsch. Das ist kein Deutsch!

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