Candice Fox: Krimi-Popkultur reinsten Wassers

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Candice Fox: Krimi-Popkultur reinsten Wassers

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Na klar, so einfach kann es gehen, denkt man zu Beginn der Lektüre des neuen Romans der australischen Schriftstellerin Candice Fox: Dank eines so simplen wie genialen Plans öffnen sich im Knastkomplex von Pronghorn in der Wüste Nevadas die Tore – alle 606 Gefangenen kommen frei, das Gefängnispersonal schaut hilflos zu.

Was da passiert, ist nicht weniger als ein Supergau für die Leitung, für die Behörden überhaupt und natürlich für die Menschen, die in der Nähe leben, bis hin ins nicht allzu weit entfernte Las Vegas. Denn es sind ja nicht nur Betrüger und Hochstapler, die da unverhofft die Luft der Freiheit schnuppern. Im Gegenteil: Die Übelsten der Üblen werden übers Land verstreut: Totschläger, Mörder, Psychopathen, Terroristen. Ein Alptraum, alles, was man sich an Bösem vorstellen kann, inklusive der Bewohner eines kleinen, aber exklusiven Todestrakts.

Ein brillanter Plan ist so ein Geschehen natürlich auch als Setting für einen Roman, als Arbeitsgrundlage für eine Krimiautorin: Die Entlaufenen müssen wieder eingefangen werden, es braucht Ermittlungen, wer überhaupt hinter dem Ganzen steckt, es ereignen sich neue Verbrechen, die Lebensgeschichten nicht bloß der Ausbrecher können erzählt werden, sondern auch die der Menschen, die im Gefängnis arbeiten.

Candice Fox, das Mastermind hinter der Geschichte schafft sich so mit einem kleinen Schüttler aus dem Handgelenk fast unbegrenzte Möglichkeiten, ein Füllhorn an Milieus, Dynamiken und Konflikten. Es ist ein Vergnügen, beim Lesen atemlos zu verfolgen, wie sie dabei einerseits das große Ganze im Blick behält, die Jagd auf die bösen Jungs also – und wie sie andererseits auf ein paar wenige Einzelschicksale fokussiert.

Dabei konzentriert sie sich vor allem auf zwei Typen aus dem Todestrakt. Der Eine, ein White Supremacy-Terrorist, träumt vom so genannten „Rassenkrieg“, und er hat da eine Idee, wie man diesen auslösen könnte, jetzt möchte er natürlich unbedingt die unerwartete Chance nutzen statt weiter auf die eigene Hinrichtung zu warten. Der Zweite, ein Familienmörder, hat eine ganz andere Mission: Er muss seine Unschuld beweisen, und das wird nur dann klappen, wenn er den wahren Mörder von Frau und Kind findet. Was allerdings nicht so einfach ist, wenn man dabei vom halben Land gejagt wird, Dr. Kimble auf der Flucht lässt grüßen.

Candice Fox stammt aus Australien, sie ist Mitte 30 – und sie räumt seit ein paar Jahren das zuletzt allzu oft allzu starre Krimigenre so radikal um, dass kein Stein auf dem anderen bleibt, trotzdem aber jede Menge Sinn dabei herauskommt: Aus dem Genre denkt sie Genre neu, indem sie es einfach mal anders denkt. So einfach kann das gehen, denkt man beim Lesen. Und zwar mit einer ungebändigten Lust am Erzählen, die auf jeder Seite spürbar ist. Für Menschen, die gern Genreliteratur lesen, ist das das pure Vergnügen.

Übersetzt von Andrea O’Brien. Suhrkamp Verlag, 2021. Euro 16,95

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