Die erste Liebe, die einzige?

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Die erste Liebe, die einzige?

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Kurze Frage: Die erste Liebe, welche Rolle spielt sie für den Rest des Lebens? Unvergesslich, einzigartig – oder bloß eine Episode, möglicherweise eine sogar, die man besser längst vergessen hat? Paul, 19, der Erzähler von Julian Barnes´ Roman “Die einzige Geschichte” (Kiepenheuer & Witsch, Euro 22, übersetzt Getraude Krueger) kommt, so viel kann man verraten, schließlich ist er ja eben der Erzähler, ein Leben lang nicht los von seinem ersten Glück. Und Unglück. Unglaubwürdig, eine Überhöhung? Na ja, es ist auf jeden Fall schon eine besondere Geschichte, die er erinnert, der er sich vergegenwärtigt, die er bilanziert: Paul, 19, Sproß einer bürgerlichen Familie aus der Londoner Umgegend, verliebt sich in Susan, um die 50, zweifache Mutter, lang verheiratet – und sie sich in ihn. Mit “verliebt” ist nun nicht bloß eine Affäre gemeint, in der die Ältere den Jüngeren in die Gefilde der Erotik entführt und später ziehen lässt. Nein, die beiden nehmen´s ernst – und brechen schließlich zusammen aus und auf in ein gemeinsames Leben. Es folgen einige Höhen, schließlich aber mehr und mehr Tiefen, die sich am Ende zu einer einzigen verdichten. Auch deshalb, weil Susan, allem Glück zum Trotz, das Leben irgendwann nicht mehr ertragen kann, der Alkohol und ihre psychischen Untiefen übernehmen das Kommando. Die Frage ist dann: Wie lange wird es wie weitergehen mit den beiden? Und wird diese erste Liebe – die es übrigens auch für Susan ist – möglicherweise zugleich ihrer beider letzte sein? Eine Liebesgeschichte also, mit allem Pipapo, und doch einzigartig; Julian Barnes erzählt sie vorsichtig, tastend, der Erzähler ist seiner eigenen Erinnerung, seiner Gefühle unsicher, Schicht für Schicht enthüllt er diese Geschichte, seine einzige Geschichte, Jahre und Jahrzehnte später, vom Herbst seines Lebens her gesehen, und es ist fraglich, ob die Geheimnisse, die er offenbart, überhaupt alle sind, die man wissen müsste, um zu verstehen, denn es ist ja eben seine Geschichte, die seiner ersten und einzigen Liebe. Über die er nie hinwegkam. Und so ist es auch die Geschichte eines Mannes, dessen Herz verödete, wie er sagt, weil dort, in der tiefsten Kammer, die Liebe konserviert ist, die erste, die einzige.

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