Girls, Girls, Girls

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Was braucht´s derzeit für einen Spannungsbestseller, der ein „Mega-Erfolg“ werden soll? Girls. Genauer gesagt: Girls, Girls, Girls. Im Zug, auf der Arbeit, an der Bushaltestelle, eingesperrt in Bunkern, gefangen in Designerwohnungen oder einfach nur festgefahren in einer missglückten Ehe. „Girls“ finden sich allerorten dort, wo böse Männer lauern – also: überall. Hauptsache, die Geschichte lässt sich so drehen, dass das „Girl“ irgendwie in den Titel der Geschichte passt: „The other Girl“, „The Girl before“, „Gone Girl“, „Girl on a Train“ und so weiter und so fort.

Gone Girl“, „Girl on a Train“ und Co: Domestic Violence

Die beiden letzt genannten Romane von Gillian Flynn und Paula Hawkins lösten diesen Trend vor zwei, drei Jahren aus, seitdem rollt und rollt und rollt die Erfolgswelle mit den „Girls“. Und ein Etikett gibt es auch dazu: “Domestic Noir”, denn es geht im weitesten Sinne um domestic violence, also: häusliche Gewalt.

Was die Sache irgendwie auf den Punkt zu bringen scheint, eigentlich aber bloß bedingt zutrifft: Häusliche Gewalt ist zwar auch immer wieder ein Thema in diesen Romanen; insgesamt steht aber die sexualisierte Gewalt gegen „Girls“ in einem weiteren Sinne im Zentrum, gern kombiniert mit dunklen Familiengeheimnissen. Das wiederum sind natürlich Basics der Kriminalliteratur, alles andere als verkaufsfördernder Trend, vor allem insofern also: „Domestic Violence“.

Das Ganze klingt „feministisch“, ist aber meist keinesfalls so gemeint, schließlich wäre es doch bedauerlich, wenn sich eine Gesellschaft tatsächlich ändern würde, in der sich solche Bücher so gut verkaufen, die sich voller Angstlust an ihr reiben. Trotzdem ist der Popup-Post-Feminismus dieser Geschichten unverzichtbar, er sorgt dafür, dass bei den Verkäufen der Turbo zündet.

„The Girl before“ und „Good as Gone“

Zwei aktuelle Beispiele aus der Paperback-Bestsellerliste: „The Girl before. Sie war wie du. Und jetzt ist sie tot“ von JP Delaney (Penguin, Euro 13) und Amy Gentry „Good as Gone. Ein Mädchen verschwindet. Eine Fremde kehrt zurück“ (C. Bertelsmann, Euro 12,99). Delaney erzählt von einer jungen Frau, die nach einer Fehlgeburt in ein komplett durch technisiertes Architektenhaus einzieht und feststellen muss, dass die Vormieterin, die ihr frappierend ähnlich sah, unter ungeklärten Umständen eines unnatürlichen Todes starb – die Frage ist, was der neurotische Vermieter mit Neigung zu prickelndem Sado-Maso-Sex a lá „50 Shades of Grey“ damit zu tun hat. Bei Amy Gentrys „Good als Gone“ taucht die ältere Tochter einer Familie, die als 13jährige aus dem Haus entführt wurde, mit Anfang 20 wieder auf, wobei nicht ganz klar ist, ob es sich bei diesem „Girl at the Door“ tatsächlich um die Tochter handelt oder um eine Betrügerin – was die Mutter nur dadurch klären kann, dass sie die ganze, schmerzhafte Geschichte wendungsreich nochmals ausleuchtet, vom Anfang bis zum Ende, samt aller dunklen Kammern in der Familie und drumherum. Zwei Retortenthriller, die Kasse machen, also genau die Erwartungen erfüllen, die in sie gesetzt wurden – nicht weniger, nicht mehr.

Die Ausnahme: „Into the Water“ von Paula Hawkins

Das verhält sich bei „Into the Water“ (Blanvalet, Euro 14,99), dem zweiten Roman von „Girl on a Train“-Autorin Paula Hawkins erfreulicherweise anders. Weit weg von der Vorstadt-Szenerie ihres Debüts, hat Hawkins ihre Ermittlung diesmal in Beckford, einem kleinen Städtchen in der englischen Provinz platziert; im Drowning Pool, dem örtlichen Fluss samt Dorfteich, ist eine Künstlerin und Fotografin um´s Leben gekommen, die in einem Projekt den Geschichten der Frauen nachspürte, die seit dem Mittelalter ebendort starben. Zurück bleiben eine aufmüpfige Tochter sowie eine Schwester, die seit Jahren den Kontakt mehr mit der Toten verweigert hat – und eine Kleinstadtgemeinschaft, in der der eine oder die andere mächtig Dreck am Stecken hat, was möglicherweise wohl auch der Grund für den „Selbstmord“ der Fotografin sein könnte.

Dem spürt Paula Hawkins in einer vielstimmigen Ermittlung nach, ebenso aber eben den Spuren der toten Frauen aus dem Drowning Pool, allesamt so „unbequeme Frauen“ wie die, denen die Autorin ihr Buch widmet. Hört sich etwas plakativ an, und auch hier zündet der postfeministische „Frauen-Turbo“, klar, aber dieses Buch ist alles andere als eine weitere „Girls, Girls, Girls“-Retorte. Im Gegenteil, „Into the Walter“ ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt, weil Paula Hawkins etwas kann und etwas will. Das Ergebnis: Ein gewagt komplexer, elegant dramatisierter und toll erzählter, auch atmosphärisch überzeugender Mainstream-Thriller – intelligente Unterhaltungsliteratur auf der Höhe der Zeit.

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